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16.05.2015 00.00
Die Vampire der Wall Street
Im vorigen Jahr haben die Vampire der Wall Street sich einen Kongress gekauft. Ich weiß, es ist nicht nett, sie so zu nennen, aber ich habe meine Gründe dafür, und die werde ich weiter unten näher erläutern. Fürs erste aber halten wir nur fest, dass die Wall Street, die früher ihre Unterstützung auf beide Parteien verteilte, jetzt eindeutig die GOP bevorzugt. Und die in diesem Jahr an die Macht gelangten Republikaner revanchieren sich mit dem Versuch, die seit 2010 gültige Finanzreform Dodd-Frank abzuschaffen. [Quelle: NachDenkSeiten] JWD

(Paul Krugman, NYT , 11.Mai 2015 | aus dem Englischen übersetzt von Sabine Tober)


Quelle: Wikipedia (verlinkt)

Und warum Dodd-Frank untergehen soll? Weil es funktioniert.

Das mag Progressive überraschen, die ja meinen, zur Zügelung der wild gewordenen Banker sei gar nichts von Bedeutung getan worden. Und richtig ist, dass die Reform weit hinter dem zurückblieb, was wir eigentlich hätten erreichen müssen, und dass ihre Erfolge auch nicht so deutlich und messbar sind, wie das im Versicherungswesen dank Obamacare der Fall ist.

Wall Street allerdings hat Gründe dafür, Reformen zu hassen, und wenn man genauer hinsieht, erkennt man auch warum.

Zunächst einmal übt das Consumer Financial Protection Bureau (die Agentur für Verbraucherschutz bei Finanztransaktionen) - Senator Elizabeth Warrens Erfindung - nach allgemeiner Einschätzung eine abschreckende Wirkung auf missbräuchliche Kreditvergabepraktiken aus. Und es gibt frühe Hinweise dafür, dass die verstärkte Regulierung der Finanzderivate - die ja eine große Rolle in der Krise von 2008 spielten - ähnliche Auswirkungen hat, indem sie die Transparenz erhöht und die Profite der Zwischenhändler beschränkt.

Und wie steht es mit dem Problem der Bankenstruktur, das bisweilen mit dem Begriff “too big to fail“ (zu groß, um zu scheitern) grob vereinfacht wird? Auch dort scheint es dank Dodd-Frank wirkliche Erfolge zu geben, größere tatsächlich, als selbst viele Unterstützer erwartet haben.

Wie schon angedeutet, trifft “too big to fail“ nicht das eigentliche Problem. Was wirklich fatal war, war die Wechselbeziehung zwischen Größe und Komplexität. Finanzunternehmen waren zu Schimären geworden: teils Bank, teils Hedgefonds, teils Versicherungsgesellschaft , und so fort. Diese Komplexität erlaubte ihnen, Regulierungen zu umgehen, und schützte sie auch vor den Folgen, wenn ihre Wetten nicht aufgingen. Und diese Möglichkeit der Banker, immer richtig zu liegen, hat dazu beigetragen, in Amerika den Boden für Desaster zu bereiten.

Dodd-Frank begegnete diesem Problem damit, dass “systemrelevante“ Finanzinstitutionen nun von staatlichen Behörden speziell reguliert und in Krisenzeiten auch übernommen werden können, anstatt einfach nur gerettet zu werden. Auch mussten die Finanzinstitute im all gemeinen mehr Kapital zurücklegen, was sowohl den Anreiz, übermäßige Risiken einzugehen, als auch die Wahrscheinlichkeit von Insolvenz aufgrund riskanter Praktiken begrenzte.

All dies scheint gut zu laufen: Das “Schattenbankgeschäft“, das die gleichen Risiken schuf wie Banken, jedoch die für Banken geltende Regulierung vermied, nimmt ab. Man sieht das an Beispielen wie General Electric, einem Industriebetrieb, der sich in einen Finanzgeschäftemacher verwandelte und nun versucht, wieder zu seinen Wurzeln zu rückzukehren. Man sieht das auch an den Gesamtzahlen, die zeigen, dass das klassische Bankgeschäft - also das mit relativ strikter Regulierung - ein Comeback erlebt. Sich den Vorschriften zu entziehen, ist anscheinend nicht mehr so attraktiv, wie es einmal war.

Aber die Vampire schlagen zurück.

Also, warum ich sie so nenne? Nicht, weil sie der Wirtschaft das Herzblut aussaugen, obwohl sie das tun: Es gibt viele Hinweise darauf, dass eine übergroße und überbezahlte Finanzwirtschaft - wie die unsere - dem Wachstum und der Stabilität der Wirtschaft schadet. Das sagt selbst der Internationale Währungsfonds.

Was die Bezeichnung in diesem Zusammenhang aber besonders passend erscheinen lässt, ist die Tatsache, dass die Feinde der Reform dem Sonnenlicht nicht standhalten können. Ein offenes Eintreten für das Recht der Wall Street, in ihre alten Verhaltensmuster zurückzufallen, ist kaum zu finden. Wenn rechte Thinktanks zu zeigen versuchen, dass Regulierung eine schlechte Sache ist, die der Wirtschaft schadet, dann scheinen sie das nicht mit voller Überzeugung zu tun. So ist beispielsweise die letzte derartige “Untersuchung“ des American Action Forums ganze vier Seiten lang, und selbst ihrem Verfasser, dem Ökonomen Douglas Holtz-Eakin, scheint seine Arbeit peinlich zu sein.

Was man stattdessen oft hört, sind Sklaverei-ist-Freiheit-Behauptungen, Behauptungen also, die Reform gäbe den Bösen mehr Macht: So spiele beispielsweise die Regulierung der Institute, die zu groß und komplex für ein Scheitern sind, irgendwie den Geschäftemachern in die Hände, und das sind Behauptungen, die schon durch die angestrengten Bemühungen dieser Institute, die Bezeichnung “systemrelevant“ zu vermeiden, Lügen gestraft werden. Tatsache ist, dass niemand für einen gekauften und bezahlten Diener der Finanzindustrie gehalten werden will, am allerwenigsten die, die genau das sind.

Und das wiederum bedeutet, dass die Vampire bis jetzt jedenfalls eine Menge weniger für ihr Geld bekommen, als sie erwartet haben. Die Republikaner würden Dodd-Frank liebend gern annullieren, doch sie fürchten zu Recht das grelle Licht der Öffentlichkeit, das Verteidiger der Reform wie Senator Warren - die den Unredlichen enorm viel Furcht einjagt - auf ihre Bemühungen lenken würden.

Heißt das nun, dass alles gut ist im Finanzsektor? Natürlich nicht. Dodd-Frank ist viel besser als nichts, aber bei weitem nicht alles, was wir brauchen. Und die Vampire lauern immer noch in ihren Särgen und warten nur darauf, wieder zuschlagen zu können. Doch es könnte schlimm er sein.

Link zum Originaltext bei ' nachdenkseiten.de ' ..hier

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