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26.03.2015 09:00
Denn sie wissen nicht, was sie tun (sollen) –
Das eklatante Versagen der europäischen Institutionen ist kein Zufall

Friederike Spiecker hat in ihrem dreiteiligen Beitrag (hier Teil 1, Teil 2 und Teil 3) über ein von hochrangigen europäischen Politikern getragenes Papier zur Steuerung der EWU die offensichtlichen und eigentlich unglaublichen Schwächen dieser Veröffentlichung herausgearbeitet. Viele Leser werden sich fragen, wie ein solches Papier entsteht und wie es – trotz all der offensichtlichen Mängel – seinen Weg durch die Institutionen nehmen kann. Das will ich erklären. [Quelle: flassbeck-economics.de] JWD.

Geschrieben werden solche Papiere in der Kommission, also in der Generaldirektion Wirtschaft und Finanzen (DGEcFin) in diesem Fall. Der Generaldirektor ist der Italiener Marco Buti, der zuständige Kommissar ist Pierre Moscovici, der von deutschen Politikern so viel geschmähte Franzose. Natürlich gehen die Mitarbeiter der Kommission ein solches Papier nicht wie ein Papier an, das sie auf einer wissenschaftlichen Konferenz vorstellen wollen. Es gibt sicher generelle Vorgaben (kein wichtiges Land zu verärgern, gehört vermutlich dazu). Aber jeder Mitarbeiter schreibt schon von vornherein mit einer Art Schere im Kopf, weil er weiß, was in der allgemeinen Ausrichtung der Generaldirektion inhaltlich einigermaßen durchgeht und was auf keinen Fall.

Ein solches Papier wird, nachdem es alle Hierarchiestufen in der Generaldirektion durchlaufen hat, an den zuständigen Kommissar mit seinem Stab geleitet und dann an den zuständigen Vize-Präsidenten und den Präsidenten der Kommission, Jean-Claude Juncker. Der Entwurf der Kommission wurde in diesem Fall – möglicherweise sogar von Beginn an – mit der volkswirtschaftlichen Abteilung der EZB besprochen (Mario Draghi ist ja Mit-Autor).

Mit Sicherheit wurde dieses Papier auch von Finanzministern und ihren Stäben diskutiert. Entscheidend ist hier das in der Öffentlichkeit kaum bekannte, in der täglichen Arbeit aber absolut entscheidende Economic and Financial Committee und dessen Ableger, die Eurogroup Working Group. Beide werden in der Regel von den beamteten Staatssekretären aus den Finanzministerien der Mitgliedsländer und hochrangigen Beamten der Zentralbanken besetzt. Den Vorsitz hat dort derzeit Thomas Wieser aus Österreich. Aus Deutschland ist der im BMF zuständige Staatssekretär Thomas Steffen (ein Jurist!) Mitglied. In diesem Gremium wird ein solches Papier von vorne nach hinten durchdiskutiert, und alle Länder können Vorschläge für dies und das vorbringen und konkrete Änderungswünsche anmelden. Letztlich bleibt das Papier zwar formal in der Verantwortung der Kommission (hier zusammen mit der EZB), wichtige Länder haben aber immer die Möglichkeit, ihnen wenig gefallende Teile herauszukatapultieren.

Bekommt der Minister oder ein Staatschef eines wichtigen Landes das Papier schließlich in die Hand, kann er oder sie eigentlich sicher sein, dass es keine bösen Überraschungen enthält. Einen Satz wie „Deutschland hat gleich zu Anfang der Währungsunion einen entscheidenden Fehler begangen“ kann ein solches Papier nicht enthalten, weil er den Gang durch die Institutionen niemals überlebt hätte. Heraus kommt bei diesem Prozess ein wildes Sammelsurium von Positionen, mit dem man nichts mehr anfangen kann. Es weist alle die Mängel nicht trotz der vielen Hände auf, durch die es gegangen ist, sondern wegen dieser vielen Hände. Selbst wenn es einen Staatssekretär oder hohen Beamten gegeben hätte, der all die Mängel klar erkannt hätte, er hätte keine Chance gehabt, sie zu beseitigen, weil es in diesen Gremien am Ende nicht auf sachlich fundierte Argumente ankommt, sondern auf Macht, Durchsetzungsfähigkeit und Mehrheiten.

Nun wird man fragen: Ja, wie soll es denn sonst gehen in diesem Europa? Das ist ja bei jedem Thema so, und man muss doch bereit sein, Kompromisse zu schließen?! Das stimmt. Und genau deswegen kann eine solche Union (wie übrigens auch ein demokratisches Land) nur funktionieren, wenn es ein angemessenes, gemeinsames und auch in der Öffentlichkeit gemeinsam kommuniziertes Grundverständnis über grundlegende Institutionen wie in diesem Fall die Währungsunion gibt. Dieses gab es aber bei der EWU von Anfang an nicht, und es ist auch seit der Krise nicht besser geworden. Bis heute hat ja kaum jemand der Verantwortlichen (geschweige denn die breite Öffentlichkeit) verstanden, was eine Währungsunion ist, wie sie funktioniert und wozu sie gut ist. Genau diese grundsätzlichen Fragen werden aber in den entscheidenden Gremien nicht mehr konkret diskutiert, weil jeder annimmt, sie seien gelöst und die Antworten im Vertrag von Maastricht ein für alle Mal verankert. Über Nachbesserungen wird, wenn überhaupt, nur in dem abgesteckten Rahmen nachgedacht. Der Rahmen selbst wird nicht mehr in Frage gestellt, nicht neu überdacht.

Nur sehr starke politische Persönlichkeiten mit unglaublich großem Wissen über die Zusammenhänge könnten vielleicht das Ruder herumwerfen, wenn sie sich von einem so dummen Papier überhaupt nicht beeindrucken ließen, das in solchen Gremien zusammengebastelt wurde, und darauf beharrten, die Grundsätze der Währungsunion neu zu diskutieren. Nur, wie wahrscheinlich ist das, dass es diese Wundermenschen gibt? [...]

Weiterlesen im Originaltext bei ' flassbeck-economics.de ' ..hier


Nachtrag:

27.03.2015 [Quelle: flassbeck-economics.de]
Nachtrag zum Beitrag “Die unverstandene Welt der Banken” (Teil 1 und Teil 2) vom 18. und 19. März 2015

Unser einführender Artikel zur Geldschöpfung der Geschäftsbanken hat uns Lob (vielen Dank dafür), aber auch vereinzelte Kritik eingebracht. Die Kritik bezog sich zumeist auf die starke (in den Augen einiger Kritiker: zu starke) Vereinfachung der Realität in unserem Text. Wir möchten deshalb noch einmal betonen, dass unser Beitrag selbstverständlich nicht den Anspruch erhebt, die realen Verhältnisse in ihrer Vielfalt und Komplexität umfassend darzustellen. Dies wäre unserer Meinung nach in einem relativ kurzen Einführungstext auch gar nicht leistbar. Zudem schließt unsere Darstellung teilweise an die zum Schluss des zweiten Teils angegebene Literatur an. Dabei sind durch einen Übertragungsfehler versehentlich einige Titel aus dieser Literaturliste herausgefallen, insbesondere die Arbeiten von Richard Werner, die wir an dieser Stelle ergänzen möchten. Es handelt sich um folgende Titel:

Richard A. Werner (2014). Can Banks Individually Create Money Out of Nothing? – The Theories and the Empirical Evidence, International Review of Financial Analysis, 36, 1-19

Josh Ryan-Collins, Tony Greenham, Richard A. Werner and Andrew Jackson (2012), Where Does Money Come From? London: new economics foundation, 2nd edition

Richard A. Werner (2014). How do banks create money, and why can other firms not do the same? An explanation for the coexistence of lending and deposit-taking, International Review of Financial Analysis, 36, 71-77

 
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