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05.11.2013 13:55
Von der Borniertheit deutscher Wirtschaftspolitik
Ist es der Versuch ausufernden Egoismus durch Desinformation als legitimes Mittel, als moralisches Prinzip zur Massenverelendung und weiteren Spaltung der Gesellschaft darzustellen? Die Borniertheit, mit der fast nach belieben wirtschaftliche Zusammenhänge in aller Öffentlichkeit verdreht und sonst wie verfälscht werden, ist kaum noch zu überbieten. Meinungsmache aus einem Guss, fern der Wahrheit, funktioniert offensichtlich hervorragend. Wie weit neben der Sache auf deutscher Seite argumentiert wird, ist in einem aktuellen Beitrag von Paul Krugmann heraus gearbeitet. Auch Heiner Flassbeck weist in seinem heutigen Artikel auf haarsträubende Fehlinterpretationen so genannter Experten hin. JWD

Those Depressing Germans – Diese deprimierenden Deutschen
Deutsche Politiker sind wütend auf Amerika, und das nicht nur wegen der Sache mit Angela Merkels Telefon. Was sie jetzt erbost, ist ein (langer) Absatz in einem Zustandsbericht des amerikanischen Finanzministeriums zur Wirtschafts- und Währungspolitik des Auslands. In dem Abschnitt argumentiert das Finanzministerium, Deutschlands enormer Überschuss in der Leistungsbilanz – ein grobes Maß für die Handelsbilanz – wirke sich nachteilig aus, weil er “ eine deflationäre Ausrichtung in der Eurozone sowie in der Weltwirtschaft begünstige.”

Verärgert bezeichneten die Deutschen diese Argumentation als “unverständlich.” “Es gibt in Deutschland keine Ungleichgewichte, die eine Korrektur unserer auf Wachstum ausgerichteten Wirtschafts- und Finanzpolitik erforderlich machen würden,” erklärte ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums.

Aber das amerikanische Finanzministerium hatte Recht, und die deutsche Reaktion war beunruhigend. Einerseits verdeutlicht sie die noch immer bei Politikern in Deutschland, in anderen Teilen Europas und tatsächlich bei Politikern weltweit verbreitete Weigerung, sich dem Kern unserer Wirtschaftsprobleme zu stellen. Andererseits zeigt sie Deutschlands bedauerliche Neigung, jedwede Kritik an seiner Wirtschaftspolitik als unfair zu beklagen.

Zunächst die Fakten. Erinnern Sie sich noch an das China-Syndrom, als Asiens größte Volkswirtschaft wegen seiner unterbewerteten Währung immer so große Handelsüberschüsse hatte? Also, China hat zwar noch immer Handelsüberschüsse, aber sie sinken. Deutschland hat jetzt Chinas Platz eingenommen: Im vergangenen Jahr hatte nicht China, sondern Deutschland weltweit den höchsten Leistungsbilanzüberschuss. Und in Relation zum BIP war der mehr als doppelt so hoch wie der Chinas.

Deutschland hat nun allerdings schon fast zehn Jahre lang immer hohe Überschüsse eingefahren. Anfänglich standen diesen Überschüssen aber große Defizite in den südeuropäischen Ländern gegenüber, die durch den starken Zustrom deutschen Geldes finanziert wurden. Europa als Ganzes hatte noch immer eine relativ ausgeglichene Handelsbilanz.

Dann kam die Krise, und die Kapitalströme in Europas Peripherie brachen zusammen. Die Schuldnerstaaten wurden – zum Teil auf Drängen Deutschlands – zu scharfer Austerität gezwungen, wodurch ihre Handelsdefizite wegfielen. Aber etwas lief falsch. Das Sinken der Handelsungleichgewichte hätte symmetrisch sein sollen, Deutschlands Überschüsse hätten also genauso sinken müssen wie die Defizite der Schuldner. Deutschland aber nahm keinerlei Korrekturen vor: Die Defizite in Spanien, Griechenland und andernorts sanken, Deutschlands Überschuss jedoch nicht. [...] [Von Paul Krugman, NYT , 3.November 2013 – Aus dem Englischen übersetzt von Sabine Tober | Quelle: nds.de].

Weiterlesen im Originalartikel bei ' nds.de ' ..hier


Passend zum Thema:

Würden wir den anderen nicht die Luft zum Atmen
nehmen, wären sie schon lange erstickt
[Quelle: flassbeck-economics.de / H.Flassbeck]

Nichts zeigt besser, wie dogmatisch fest geschlossen die Reihen in unseren Leitmedien sind, als der Aufschrei, der durch die deutschsprachige Presselandschaft ging, nachdem der amerikanische Finanzminister die deutschen Leistungsbilanzüberschüsse kritisiert hat. Wir haben uns schon damit auseinandergesetzt, wollen aber noch einmal die vorgebrachten Argumente aufgreifen, weil das Thema zentral ist.

Da gibt es diejenigen, die, wie die schweizerische Neue Zürcher Zeitung (NZZ), mit Gewalt versuchen, den Leser zu verwirren. Die NZZ schreibt: „Daran (an der Kritik der USA, Anm.d.Vef.) stimmt, dass die deutsche Wirtschaft hohe Überschüsse im Aussenhandel erzielt. Mit Blick auf die Leistungsbilanz betrugen sie jüngst gut 7 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP). Aber bei einem gesonderten Blick auf die Euro-Zone zeigt sich ein ganz anderes Bild: Die Bilanz war im ersten Halbjahr 2013 ausgeglichen. Die deutsche Exportorientierung kann also kaum mehr zu angeblichen Verwerfungen in der Währungsunion beigetragen haben. Vielmehr geht der deutsche Aussenhandelsüberschuss zum grössten Teil auf den Austausch mit den Schwellenländern zurück.“

Jeder normale Leser dieser Zeilen muss das so verstehen, dass Deutschland im ersten Halbjahr 2013 keinen Überschuss mit der restlichen Währungsunion mehr erzielt hat. Das aber ist falsch. Tatsächlich beträgt der Überschuss laut Deutscher Bundesbank immer noch knapp 26 Mrd. Euro im ersten Halbjahr 2013, beim Warenhandel sind es sogar über 30 Mrd. Euro (das ist knapp ein Drittel aller deutschen Überschüsse in diesem Zeitraum). Etwas ausgeglichener als die deutsche ist die Leistungsbilanz der EWU insgesamt, die einschließlich der deutschen Überschüsse im ersten Halbjahr 2013 zwischen 1 und 2 Prozent im Plus liegt. Das aber kann ja nicht als Argument dafür dienen, dass es keine Verwerfungen innerhalb der Eurozone gibt.

Aber selbst wenn der deutsche Überschuss zu erheblichen Teilen inzwischen auf den Austausch mit den Schwellenländern zurückginge (was absolut betrachtet auch nicht stimmt: gut zwei Drittel seiner Überschüsse erzielt Deutschland immer noch mit der industrialisierten Welt; nur die Anteilsverschiebung hin zu den Schwellenländern ist rasant: noch 2010 ging weniger als ein Fünftel der deutschen Überschüsse auf das Konto der Schwellen- und Entwicklungsländer), schließt das ja nicht aus, dass Deutschland gerade dort, auf den letzten wachsenden Märkten also, seine europäischen Partner verdrängt.

Andere, wie das Handelsblatt, holen irgendwelche Vorwürfe gegen die Amerikaner aus der Kiste und tun so, als könne man aufrechnen, wie die kleinen Kinder das tun: Wenn die Amerikaner etwas falsch machen, dann dürfen sie nicht sagen, dass auch jemand anderes etwas falsch macht. Dabei die alte und falsche Geschichte aus der Mottenkiste zu holen, nach der die amerikanische Geldschwemme für Finanzkrisen verantwortlich ist (wir haben das hier ausführlich kommentiert), ist schon ziemlich peinlich. Gibt es in Europa keine Geldschwemme? Hat Japan nicht schon seit zwanzig Jahren Geldschwemme? Und haben wir mit den flexiblen Wechselkursen nicht ein Währungssystem, bei dem jeder die Geldpolitik machen kann, die er national braucht?

Den Vogel aber schießt die FAZ ab, die unter der viel sagenden, weil weiteren Autismus empfehlenden Überschrift “Deutschland sollte sich taub stellen” mit dem bemerkenswerten Satz aufwartet: „Die Euro-Krise sähe weit schlimmer aus, hätten die Deutschen mit ihrem robusten Export den Euroraum nicht wirtschaftlich verankert.” Das soll wohl soviel heißen wie “würden wir den anderen nicht die Luft zum Atmen nehmen, wären sie schon lange erstickt”. Oder etwas ökonomischer ausgedrückt: Weil Deutschland global so wettbewerbsfähig ist, konnte zum Glück eine Abwertung des Euro verhindert werden, die der mangelnden internationalen Wettbewerbsfähigkeit der anderen EWU-Mitgliedsländer entsprochen hätte. Das hilft den anderen, weil so ihre Exportmärkte von Deutschland übernommen werden, aber nicht von China. Da sollen die aber froh sein, denn immerhin bleibt der Arbeitsplatz auf dem europäischen Kontinent, was ja etwa für den spanischen Arbeitslosen irgendwie tröstlich ist, oder? [...]

Weiterlesen im Originalartikel bei ' flassbeck-economics.de ' ..hier


 
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