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30.04.2013 13:15
Fata Morgana zum Tag der Arbeit - FAZ über Vollbeschäftigung im Niedriglohnparadies
In der Vorwoche zum 1. Mai, dem Tag der Arbeit, startete die "Qualitätszeitung" FAZ eine PR-Kampagne zum Thema "Arbeit für Alle". Unter dem Titel - "Vollbeschäftigung? Unglaublich, aber wahr" - werden in einer Art Thesenpapier dazu 10 kühne Behauptungen in die Welt gesetzt, die von neoklassischem Wunschdenken nur so triefen, aber leider mit der Realität fast nichts zu tun haben.  JWD

Nun ist wieder von Vollbeschäftigung die Rede (von adtstar Pro @ Sonntag, 28. Apr, 2013 – 19:56:48)
Die FAZ fabuliert in einer aktuellen Serie über die bevorstehende Vollbeschäftigung. Arbeit für Alle heißt der radaktionelle Unsinn, bei dem der verantwortliche Redakteur für Wirtschaft Online, Patrick Bernau (Jahrgang 1981), glaubt, anhand von 10 Punkten belegen zu können, warum es Vollbeschäftigung geben wird und die Einwände gegen diese “optimistische Prognose” haltlos sind. Was dann aber folgt, ist übelste Vulgärökonomie.

Zunächst einmal stellt der Autor fest, dass ja eine Menge Menschen demnächst in den Ruhestand wechseln werden. Das heißt, Arbeitsplätze werden frei, die folglich von der viel kleineren jüngeren Generation besetzt werden können. So als ob Arbeitsplätze, die ihren Besitzer verlieren, einem Naturgesetz folgend automatisch wieder besetzt werden müssen. Scheinbar hat der Autor noch nie etwas von Stellen gehört, die ersatzlos wegfallen können, weil Unternehmen schließen oder die vorhandene Arbeit auf die noch verbliebenen Mitarbeiter verteilt wird. Auf der anderen Seite steigt natürlich die Zahl der Beschäftigten, was Bernau als Beleg für seine These anführt. Doch ignoriert er ganz bewusst die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden, die trotz Zunahme der Beschäftigung nahezu unverändert blieb. Das wiederum heißt, dass die Beschäftigungszunahme auf Kosten regulärer Vollzeitstellen zustande gekommen sein muss.

Doch auch das Suchen und Finden einer Lehrstelle gehe heute ohne Probleme vonstatten, behauptet Bernau. Er stützt sich damit wohl auf die Zahlen der Bundesagentur für Arbeit, wonach es mehr offene Ausbildungsstellen als nicht vermittelte Bewerber gebe. Dass aber immer noch fast jeder dritte Jugendliche, der eine betriebliche Ausbildung sucht, in einer Maßnahme steckt und damit in einer Warteschleife festsitzt, verschweigt der FAZ-Autor. Für ihn und seine Redaktionskollegen gilt die simple Rechnung, dass Demografie und angeblicher Fachkräftemangel zu einer wundersamen Bereinigung des Arbeitsmarktes beitragen werden. Doch das ist eine freche Lüge, die der bitteren Realität mit Täuschungsabsicht vorangestellt wird.

[..] Was da gerade in Europa geschieht, sieht der Autor offenbar weniger als Bedrohung für Deutschlands Wirtschaft an, wohl aber höhere Löhne. Die seien ein Risiko für bestehende Arbeitsplätze, meint er.

Überhaupt sei schlechte Bezahlung eher ein Märchen, schwadroniert Bernau weiter. Denn in Berufen, in denen Arbeitnehmer knapp und begehrt sind, diktieren nicht die Arbeitgeber, sondern die Bewerber den Preis. Auch das ist eine schamlose Verdrehung der Tatsachen. [..] 

Toll ist auch die bahnbrechende Erkenntnis, wonach sich die Arbeitslosigkeit in manchen Regionen Deutschlands quasi von selbst erledige, da dort in Zukunft kaum noch Menschen leben würden. [..]

Was ist aber, wenn viele Menschen nicht in Rente gehen, sondern gleich in die Altersarmut? Die jährliche Rentenbestandsstatistik, die kürzlich veröffentlicht wurde, zeigt, dass über 6 Millionen Rentner in Deutschland mit Bezügen von unter 500 Euro und gut 13,5 Millionen Rentner von unter 1000 Euro im Monat auskommen müssen. Über die Hälfte aller Rentner hat weniger als 750 Euro im Monat zur Verfügung. Das sind Einkommen, die kaum Kaufkraft entwickeln dürften. Hinzu kommt die schwache Lohnentwicklung, die den niedrigen Renten vorausgeht. Auch von dieser Seite kann kein Nachfrageimpuls ausgehen.

Ein Abschmieren der Konjunktur im Wahljahr kann sich die Regierung aber dennoch nicht leisten, daher wird die Lage weiterhin beschönigt und so gerechnet, [..]

Weiterlesen im Originalartikel bei ' tautenhahn.blog.de " ..hier


29. 04.2013
FAZ-Themenwoche „Vollbeschäftigung“ – Spiegelfechten im Niedriglohnparadies  (29.04.2013 / nds.de)
[..] Zunächst soll es hierbei um den von der FAZ bagatellisierten Zusammenhang zwischen den Arbeitseinkommen und den Beschäftigungszahlen gehen, der für die Beschäftigung mit dem Thema elementar ist.

Wie die FAZ überhaupt zur steilen These kommt, es gäbe in Deutschland demnächst so etwas wie Vollbeschäftigung erklärt Patrick Bernau in einer Art Thesenpapier zum Schwerpunktthema. Auf viele Schwächen dieses Papiers ist bereits der Kollege André Tautenhahn eingegangen. Bernau argumentiert in seinem Thesenpapier streng angebotstheoretisch. Sinken die Löhne, sinkt auch die Arbeitslosigkeit, da es sich für die Arbeitgeber (wieder) lohnt, Menschen einzustellen.

Und da die Löhne in Deutschland bekanntlich in den letzten beiden Jahrzehnten gesunken sind und der demographische Wandel zudem dafür sorgt, dass die Zahl der potentiellen Arbeitnehmer zurückgeht, wird sich – so Bernau – schon bald ein Überangebot von Arbeitsplätzen einstellen. Vordergründig leuchtet diese angebotstheoretische Herleitung durchaus ein. Wie man sich dies – ein wenig zugespitzt – vorstellen kann, habe ich bereits unter der ironischen Kapitelüberschrift
    „Willkommen im Putzfrauenparadies“ in meinem Buch „Stresstest Deutschland“ geschildert:

    Um dies zu verdeutlichen, reicht ein kleines Gedankenspiel. Was wäre, wenn der Staat es zulassen würde, dass auch Privathaushalte Raumpflegerinnen in flexibler Teilzeit und zu einem Stundenlohn von einem Euro einstellen dürften – selbstverständlich ohne dafür mit Sozialabgaben, Kündigungsschutz oder Ähnlichem belästigt zu werden. Verrückt, nicht wahr? Wer würde einen solchen Job annehmen?

    Was wäre nun, wenn die Privathaushalte ihre Stellengesuche bei den Arbeitsagenturen platzieren dürften und jede Leistungsbezieherin, die ein solches Angebot ablehnt, sanktioniert wird? Da die Erwerbslosen bei der momentanen Gesetzeslage gar keine Möglichkeit hätten, diese Angebote auszuschlagen, könnte die Kanzlerin schon wenige Tage später einen wundersamen Rückgang der Arbeitslosenzahlen vermelden – die Nachfrage nach Eineuroputzfrauen dürfte nicht eben gering sein. Wie würden Sie ein solches – noch hypothetisches – Arbeitsbeschaffungsprogramm nennen? Staatlich geförderte Zwangsarbeit? Sie liegen da gar nicht mal so falsch. Denn genau dieses Arbeitsbeschaffungsprogramm gibt es bereits in abgeschwächter Form.

    Im April 2011 zählte die Arbeitsagentur fast 1,4 Millionen erwerbstätige Arbeitslosengeld-II-Empfänger – 326.000 davon in einem sozialversicherungspflichtigen Vollzeitjob.

    aus: Jens Berger, „Stresstest Deutschland“, 2012, Frankfurt
Kartoffelmarkt und Arbeitsmarkt
Vertreter der angebotstheoretischen Lehre gehen stets davon aus, dass der Arbeitsmarkt sich nicht sonderlich von anderen Märkten, wie beispielsweise dem Kartoffelmarkt, unterscheidet und die beiden Seiten (Arbeitgeber und Arbeitnehmer) frei den Preis (Lohn) untereinander ausmachen. So einfach stellt sich der Arbeitsmarkt aber nicht dar. Ist die Kartoffel zu teuer, kann der potentielle Nachfrager auf den Kauf verzichten und stattdessen Nudeln, Brot oder Reis kaufen. Ein Erwerbsloser kann jedoch nicht so einfach ein „Jobangebot“ ausschlagen, egal wie schlecht es bezahlt ist – droht ihm doch Hartz IV und dann im schlimmsten Fall sogar die Sanktionierung und damit ein zeitweiliges Leben unterhalb dem Existenzminimum. Würde der Arbeitsmarkt funktionieren, gäbe es überhaupt keine Löhne, von denen man nicht leben kann und damit auch keine Hartz-IV-Aufstocker. Patrick Bernau findet es da „bemerkenswert“, dass „Deutschland seit einigen Jahren“ angeblich „nicht mehr über Arbeitslosigkeit diskutiert, sondern fast nur noch darüber, ob die Stellen angenehm sind und genug Geld bringen“. Da kann man nur sagen: Willkommen im Niedriglohnparadies Deutschland.

Vollbeschäftigung ist kein Selbstzweck, sondern kann und darf nur unter der Vorgabe ein arbeitsmarktpolitisches Ziel sein, dass die gezahlten Löhne ausreichen, um davon leben zu können. Leider geht dieser wichtige Punkt im ganzen Rausch der vergleichsweise niedrigen Arbeitslosenzahlen vollkommen unter. Es ist freilich nicht so, dass Patrick Bernau dieses Problem nicht sehen würde. Doch auch seine diesbezügliche Lösung ist wieder streng angebotsorientiert und geht komplett an der Realität vorbei. Laut Bernau stellen hohe Löhne ein „Risiko für die Arbeitsplätze dar“, ließen sich jedoch ohnehin nur dann durchsetzten, wenn die Arbeitnehmer „sowieso schon in der besseren Verhandlungsposition, sprich vollbeschäftigt [seien]“. Um dies zu untermauern, verweist Bernau auf die angebliche Verhandlungsmacht von Arbeitnehmern in Jobs, in denen es einen Bewerbermangel gibt. Mit einem konkreten Beispiel belegt Bernau diese Thesen jedoch nicht und er weiß sicher auch warum.

Fachkräftemangel und Vollbeschäftigung – Theorie und Praxis
Dabei lohnt ein Blick auf den Berufssektor, auf dem es momentan wohl den größten flächendeckenden Bewerbermangel gibt: den Pflegesektor. Wäre an Bernaus Thesen etwas dran, müssten die Kranken- und Altenpfleger ja ihre Macht im Arbeitsmarkt bereits nutzen und dem Arbeitgeber „die Bedingungen diktieren“, „höhere Gehälter, Sabbaticals und längere Urlaube aushandeln“. Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Aber was kann die Theorie dafür, wenn die Praxis ihr einfach nicht folgen will? Mir ist kein Beispiel bekannt, bei dem die Arbeitgeber auf einen tatsächlichen oder vermeintlichen Fachkräftemangel gemäß der „Marktlogik“ reagiert und die Löhne erhöht hätten. Stattdessen bemüht man sich beispielsweise im Pflegesektor redlich, Ärzte und Pflegepersonal aus Entwicklungs- und Schwellenländern zu akquirieren, um hierzulande das Lohnniveau noch weiter zu drücken.

Es ist daher müßig, sich utopische Gedanken darüber zu machen, wie schön sich die Welt im vollbeschäftigen Deutschland zukünftig gestalten ließe. Solange es sich bei dem vollbeschäftigten Deutschland um ein Putzfrauenparadies“ mit flächendeckenden Niedriglöhnen handelt, wird aus der Utopie eine Dystopie.

Mit der Angebotstheorie in die Sackgasse
Bernaus Thesen haben jedoch aus volkswirtschaftlicher Sicht noch einen weiteren Kardinalfehler, der sich auf die eingeengte angebotstheoretische Sichtweise zurückführen lässt: Die Zukunft einer Volkswirtschaft, die aufgrund niedriger Löhne keine ausreichende und selbstragende Binnenkonjunktur entwickeln kann, hängt auf Wohl und Wehe vom Export ab. Man kann jedoch nur dann exportieren, wenn man Kunden für seine Exportgüter findet. Momentan tut Deutschland jedoch alles, um seine Kunden finanziell auszutrocknen und es ist zudem mehr als ungewiss, ob der „Exportweltmeister“ es schafft, seine gigantischen Auslandsforderungen überhaupt noch einzutreiben. Wenn die Krise mittel- bis langfristig anhält, wovon momentan auszugehen ist, wird jedoch auch der Export unausweichlich einbrechen. Die simple angebotstheoretische These, nach der man „nur“ wettbewerbsfähig produzieren muss und es dann schon irgendjemanden auf der Welt gibt, der die Produkte kauft und zahlt, gilt nun einmal nicht, wenn weltweit die Nachfrage einbricht.

Solange die Weltwirtschaft sich im „Krisenmodus“ befindet ist es daher auch vollkommen illusorisch, dass das Land, das als Exportweltmeister weltweit am stärksten vom Welthandel abhängig ist, ungeschoren bleibt und zur Vollbeschäftigung gelangt.

Agenda Setting für den Wahlkampf
Die FAZ-Themenwoche „Vollbeschäftigung“ wirkt vor diesem Hintergrund eher wie ein Versuch, den Lesern Sand in die Augen zu streuen und die neoliberale Politik der letzten Jahrzehnte als Erfolgsmodell umzudeuten – die in schwarz-gelb gehaltene Illustration von emsigen Arbeitnehmern zu Bernaus Artikel ist dabei auch farblich Programm. Man merkt es: Der Wahlkampf kommt langsam auf Touren und die FAZ versucht in einer ersten Agenda die gewünschten Themen zu setzen. Während der Rest der Republik darüber debattiert, wie man die immer größer klaffende Schere bei der Einkommens- und Vermögensverteilung schließen könnte und die meisten Experten darin einig sind, dass das Debattenthema „Gerechtigkeit“ den Wahlkampf beherrschen wird, versucht die FAZ die Debatte unter fadenscheinigen Prämisse in eine andere Richtung zu lenken. Für ein solches Manöver gab es früher mal einen passenden Ausdruck: Spiegelfecherei.
    So sagt man, wenn man Jemand mit irgend etwas dem Scheine nach Glaubliches täuscht, es sey eine Spiegelfechterei.
[Johann Georg Krünitz, “Oeconomischen Encyclopädie”, 1773]  [Quelle: nds.de ..hier]


FAZ über Vollbeschäftigung [30.04.2013 / Heiner Flassbeck]
Die FAZ schreibt über Vollbeschäftigung. Das ist so, als ob Ptolemäus über das kopernikanische Weltbild* schreibt: Es könnte lustig sein, wenn sie wenigstens gute Schreiber hätten. Die Nachdenkseiten haben dazu schon vieles gesagt, ich will nur einen Punkt anfügen, der leider überall zu kurz kommt, unseres Erachtens aber der mit Abstand wichtigste ist und den wir hier schon einige Male angesprochen haben.

Der Arbeitsmarkt funktioniert nicht wie ein normaler Markt, weil am Arbeitsmarkt, anders als am Kartoffelmarkt, Angebot und Nachfrage nicht unabhängig voneinander sein können. Wenn die Angebotskurve und die Nachfragekurve, wie sie die Ökonomen so gerne als Kreuz hinmalen, nicht unabhängig voneinander sind, gibt es kein normales Marktergebnis und die schöne marktwirtschaftliche Vorstellung, sinkende Löhne bedeuteten mehr Beschäftigung, ist und bleibt eine Fata Morgana. Die FAZ irrlichtert deswegen meist über den Export und die Wettbewerbsfähigkeit, was, wie wir schon viele Male gezeigt haben, ja gerade keine Lösung des Problems ist. Den entscheidenden binnenwirtschaftlichen Zusammenhang erkennen weder sie noch die von ihr befragten Mainstreamökonomen. [..] [Quelle:flassbeck-economics.de ..hier]

*) Ptolemäus: Sonne dreht sich um die Erde; Kopernikus: Erde dreht sich um die Sonne

Passend zum Thema:

12.09.2012
Der Arbeitsmarkt ist kein Kartoffelmarkt und funktioniert genau entgegengesetzt
Heiner Flassbeck - Bei der “Ersten Pluralistischen Ergänzungsveranstaltung zur Jahrestagung des Vereins für Socialpolitik” veranstaltet vom Arbeitskreis Real World Economics hält Heiner Flassbeck einen erhellenden Vortrag zum Thema Arbeitsmarkt und dem völligen Versagen der neoklassischen Paradigmen. JWD  ..weiterlesen


 
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