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18.02.2013 12:45
In der neoliberalen Ideologie gibt es kein Marktversagen - trotz Dauerkrise nichts dazu gelernt
Prof. Philip Mirowski* erläutert in einem Interview, warum wir eine neue Erzählung als Fundament für eine andere Wirtschaftstheorie benötigen und beklagt, dass trotz Dauerkrise intellektuell und strukturell alles beim alten geblieben ist.  JWD

Den Finanzkapitalismus vergleicht er mit einer entfesselten Maschine. Es gäbe keine Möglichkeit, das Computersystem der Finanzmärkte zu beherrschen. Den Wirtschaftswissenschaftlern würden die Fundamente ihrer Theorien weg brechen, ist in der FAZ zu lesen.

Unter dem das Kernproblem wenig treffenden Aufmacher, - Philip Mirowski im Gespräch: Die Linke hat auch keine Antwort -, ist dort das ansonsten sehr informative Interview mit dem Wirtschaftshistoriker und Kulturkritiker Philip Mirowski veröffentlicht.

Auszüge:
[Vier fünf Jahre nach der Finanzkrise:] [..] erstaunlich, wie wenig nur sich intellektuell verändert hat, aber auch strukturell ist fast alles beim Alten geblieben. Das Letztere ist bekannt, da erzähle ich niemandem etwas Neues über den Bankensektor, der nun praktisch genauso aussieht wie vor dem Crash, und der Schattenbankensektor, also mit Hedgefonds und Private Equity, ist wirklich unverändert über die Runden gekommen. Verändert hat sich nur, dass viel mehr Leute keine Arbeit haben und Regierungen zugeben mussten, dass ihre Haushalte außer Kontrolle geraten sind. Was alles sehr seltsam ist, wenn man die Wucht und Reichweite der Krise in Betracht zieht.

[..] Die Krise entspringt zunächst einmal den letzten dreißig Jahren, die von der Transformation des Aktienmarkts und Finanzsektors geprägt sind. Sie sehen das an Sachen wie den Flash Crashes, dem Hochfrequenzhandel, auch an der Tatsache, dass die Big Players im Grunde jetzt denken, es sei ein Fehler, überhaupt Aktien zu besitzen, weil es keine Möglichkeit mehr gebe, das riesige Computersystem zu beherrschen. Mit konventionellen Analysen ist diesem Computersystem nicht beizukommen. Aber auch ökonomisch ist etwas Tiefgreifendes im Gange, und die Leute ignorieren das einfach. Es gibt nur noch wenige von uns, die sich ernsthaft mit der Geschichte des ökonomischen Denkens beschäftigen und aus den Universitäten nicht vertrieben worden sind.

[..] Die ökonomische Orthodoxie prallte in den späten siebziger Jahren auf unlösbare Probleme. [..] Einige erkannten, dass dies an die Fundamente ging, [..]. Sie registrierten, dass die Vorstellung, es gebe eine gültige Theorie der ökonomischen Rationalität, auf die sich eine Mehrheit von Ökonomen in ihrer Arbeit berufen kann, in sich zusammengebrochen war. [..]

Wir reden jetzt nicht über die Welt, sondern über die ökonomische Erzählung. Und die fiel auseinander. Es brachen ihr die Fundamente weg. Einzelrationalität, die, wenigstens in einer idealen Welt, zu einem allgemeinen Gleichgewicht führt - davon ist nichts übrig. Es stimmt nicht einmal in einer idealen Welt, um wie viel weniger in der wirklichen. [..] Kurz, die Wirtschaftswissenschaft trieb richtungslos dahin, schon bevor die Finanzkrise ausbrach. [..]

[..] Und der Finanzkrise zum Trotz hält sich die Wirtschaftswissenschaft für unangreifbar. [..] Die Theorie aber, die uns gegenwärtig zur Verfügung steht, erlaubt uns nicht zu begreifen, wie sich ein normal operierendes System so entwickeln kann, dass es sich selbst untergräbt. Keines der existierenden Modelle kann das nachzeichnen. [..]

[..] Die kulturelle Dominanz des Neoliberalismus, wie er von der Mont Pelerin Society seit den vierziger Jahren entwickelt wurde, macht die Annahme, ein Markt könne versagen, fast unmöglich. Im neoliberalen Denken wird der Markt als grandioser Informationsprozess verstanden. Die meisten Leute glauben daher, der Markt wisse mehr als sie selbst. [..] Ökonomen, ich versichere es Ihnen, können das nicht zugeben. Sie sind Teil dieser Kultur. Deshalb sind Wissenschaftshistoriker nötig. [..]

Sie sehen tatsächlich keinerlei Gegenbewegung zum neoliberalen Mainstream?

Es geht viel tiefer. Ich frage mich auch, warum der Stand der Ökonomen so unempfänglich für Kritik ist. Vor allem ist er mehr als integriert mit der Finanzbranche. Er ist, um es klar auszusprechen, ein Teil von ihr. Ökonomen bekommen nicht nur gelegentlich ein bisschen Geld, weil sie ein Gutachten verfasst haben. Sie sind Vizepräsidenten von Pimco, sie sind die Chefökonomen von Moody’s, und sie geben nie in ihren wissenschaftlichen Veröffentlichungen an, dass sie das sind. Die Leute draußen haben keine Ahnung, was da vor sich geht. [..] [Auszüge Ende | Quelle: FAZ]

Link zum vollständigen Artikel bei ' faz.net ' ..hier



*) Philip Edward Mirowski (* 21. August 1951 in Jackson, Michigan) ist ein US-amerikanischer Wirtschaftshistoriker und Kulturkritiker. [..] Besondere Bekanntheit erlangte Mirowski mit seinem 1989 erstmals erschienenen Werk More heat than light – economics as social physics, physics as nature’s economics, in dem er die Interaktion zwischen moderner Wirtschaftstheorie und physikalischen Erkenntnissen darlegte. [..]  [Quelle: Wikipedia ..hier]




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