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30.01.2012 14:35
Am Vorabend einer Revolution? Soziale Ungerechtigkeit wird zum gesellschaftlichen Prinzip
Immer schneller entfernen sich westliche Demokratien von ihrem Anspruch auf Gerechtigkeit. Die ursprüngliche Grundlage aller demokratischen Konzepte ist die Überzeugung, dass es in den Gesellschaften gerecht zugehen soll. Der Begriff der Gerechtigkeit beschreibt dabei einen Zustand, in dem Chancen und Güter angemessen und gleich zwischen allen Beteiligten verteilt werden. [Quelle: Jacob Jung Blog]   JWD


Im Artikel  vom 28.1.2012 wird im Jacob Jung Blog an aktuellen Beispielen in unserer Gesellschaft dargelegt, dass sich die herrschende Elite von Sozialstaatlichkeit weit entfernt hat und Ungleichheit als gesellschaftliches Prinzip betreibt. Mit unserem Grundgesetz ist diese Politik ebenfalls schwerlich in Einklang zu bringen.

[Auszug]: Wie ist es zu erklären, dass sich die modernen, westlichen Gesellschaften, von deren Überlegenheit ihre Führer scheinbar so überzeugt sind, dass sie selbst nicht davor zurückscheuen, sie mit kriegerischen Mitteln in andere Regionen der Welt zu „exportieren“, so offensichtlich gegen das Grundprinzip der Gerechtigkeit verstoßen?

[..] Die moderne Klassengesellschaft
Niemand wird ernsthaft bezweifeln können, dass es in unserer Gesellschaft ungerecht zugeht. Die viel zitierte „Schere zwischen Arm und Reich“ öffnet sich immer mehr. Das belegen nicht nur unzählige Studien, Untersuchungen und Statistiken. Man spürt die deutlichen Unterschiede zwischen Gutverdienern und prekär oder gar nicht Beschäftigen, zwischen Einflussreichen und Machtlosen und zwischen Regierenden und Regierten allerorten selber, unabhängig davon, ob man der Gruppe der Privilegierten oder der Gruppe der Bedrückten angehört. [..] Machen wir uns also auf die Suche nach [..] Anhaltspunkten für eine ausgeprägte Ungerechtigkeit in unserer Gesellschaft und betrachten dazu verschiedene Lebensbereiche [..]

Medizinische Versorgung und Gesundheit
Werfen wir dazu zunächst einen Blick, auf das deutsche Gesundheitssystem. Selbst bei rein äußerlicher Betrachtung stellt man fest, dass wir es hier mit einem ausgeprägten Klassensystem zu tun haben. Auf der einen Seite stehen die Pflichtversicherten. Bis zu einer bestimmten Einkommensgrenze zahlen die Versicherten Beiträge ein, mit denen die Kosten für die medizinische Versorgung getragen werden sollen. Auf der anderen Seite stehen diejenigen, denen aufgrund ihres beruflichen Status oder ihres Einkommens die private Krankenversicherung zur Verfügung steht. [..]

In der Praxis führt dies zu einem völlig unterschiedlichen Umgang zwischen gesetzlich und privat versicherten Patienten. Private erhalten deutlich schneller einen Termin, werden meist so aufmerksam und zuvorkommend behandelt, dass sie gerne wiederkommen, haben Zugriff auf neuere und aufwendigere Behandlungsmethoden und können damit rechnen, dass sich der Arzt deutlich mehr Zeit für sie nimmt.

Man erkennt also auf den ersten Blick, dass man es hier mit einer Zweiklassen-Medizin zu tun hat. Bei näherer Betrachtung stellt man allerdings fest, dass neben der ersten und der zweiten Klasse im Medizinbetrieb längst auch eine dritte Klasse entstanden ist.

Während nämlich Menschen, die aufgrund ihrer Einkünfte zwar noch keinen Zugang zur privaten Medizin erhalten, jedoch immerhin über ein Einkommen verfügen, von dem es sich leben lässt, ihren Versorgungsstatus durch private Zusatzversicherungen oder die „Buchung“ von individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL) deutlich aufbessern können, stehen diese Optionen Geringverdienern, Aufstockern, Hartz IV Empfängern oder Rentnern am Existenzminimum keineswegs zur Verfügung.

Deren gesundheitliche Versorgung orientiert sich in unserer Gesellschaft stattdessen am absoluten Minimum und das kann man auch deutlich sehen. Wir bewegen uns in immer schnelleren Schritten auf einen Status zu, in dem man sozial Benachteiligte an einem unvollständigen Gebiss, einer eher notdürftigen Brille, einer schlechten Befindlichkeit und einer geringeren Lebenserwartung erkennen kann.

Das staatliche Gesundheitssystem wurde ursprünglich als solidarisches und paritätisches Modell konzipiert, das den Anspruch verfolgte, jedem Menschen die gleiche Versorgung auf der Höhe der medizinischen Entwicklung zukommen zu lassen. Bereits die Einführung der privaten Gesundheitsvorsorge konterkarierte dieses Konzept. Wenn sich gerade der Besserverdiener und der Vermögende aus einem Solidarsystem verabschieden können, dann ist dieses System natürlich nicht mehr solidarisch. [..]

Grundversorgung und Konsum
[..] Beginnen wir mit denjenigen Konsumbereichen, die zur Grundversorgung zählen, allen voran der Bereich der Lebensmittel. In Deutschlands Geschäften findet sich ein schier unbegrenztes Angebot an Nahrungsmitteln. Hier ist jede geschmackliche und ideologische Präferenz vertreten. Wir sind permanent ebenso mit exotischen Früchten, ausgefallenen Erzeugnissen aus aller Welt und vegetarischer und veganer Kost versorgt, wie mit biologisch erzeugten oder fair gehandelten Produkten, antiallergischen Lebensmitteln oder laktosefreien Milchprodukten, um nur einige Beispiele zu nennen.

Einzige Voraussetzung für den Zugang zum atemberaubenden Angebot: Man muss es sich leisten können. In der Realität bleibt allerdings Millionen von Menschen in unserem Land keine andere Wahl, als bei ALDI, LIDL oder anderen Discountern zum jeweils billigsten Produkt zu greifen. Ganz unabhängig davon ob es uns schmeckt, ob es gesund ist, ob wir mit dessen Konsum Schuld an elenden Lebensbedingungen in anderen Ländern oder unverantwortlichen Produktionsbedingungen im eigenen Land haben und ganz unabhängig davon, ob wir mit unserem Einkauf maßgeblich genau die Konzerne unterstützen, die selber zu den hauptsächlichen Nutznießern von niedrigsten Löhnen und unverantwortlichen Arbeitsbedingungen zählen: Wir haben nicht die Wahl, wenn wir nicht zu den Privilegierten der Gesellschaft gehören.

Genauso sieht es im Bereich Bekleidung aus. [..]

Nächstes Beispiel: Stromversorgung. Einmal ganz davon abgesehen, dass der Anteil des monatlichen Einkommens, den Menschen heute für ihre Energieversorgung aufwenden müssen, absurd ist, steht die Entscheidung für einen Anbieter, der ökologisch verantwortlich handelt und dessen Strom von daher meist teurer ist, wieder nur denjenigen zu, die über ein ausreichendes Einkommen verfügen. Und während diese Gruppe es sich zusätzlich leisten kann, ihre neuesten Elektrogeräte nach Energieeffizienz auszuwählen, müssen Geringverdiener, Hartz IV Empfänger und die meisten Rentner mit alten und stromfressenden Kühlschränken, Waschmaschinen und Fernsehgeräten Vorlieb nehmen.

Der Staat subventioniert Solaranlagen auf den Dächern von Eigenheimen, investiert in die Entwicklung von Elektro-Autos und gibt Unsummen für Straßenbauprojekte in ganz Deutschland aus. Gut für diejenigen, die sich Haus und Solar-Panels, Hybrid-Fahrzeuge und die Nutzung von Straßen und Autobahnen leisten können. Schlecht für diejenigen, die systembedingt im „Sozialhilfe-Quartier“ leben, sich weder jemals ein neues noch ein altes Auto anschaffen können und infolge dessen auch nie in den Genuss vierspuriger Autobahnen und gut ausgebauter Fern- und Verbindungsstraßen kommen werden.

Gesellschaftliche Teilhabe und Bildung
Wenden wir uns einem dritten und vorerst letzten Beispiel zu, wenngleich sich diese Liste fast unendlich erweitern ließe. Sprechen wir von der gesellschaftlichen Teilhabe und vom Bildungssystem.

Betrachtet man Deutschland anhand der unzähligen Filme, Serien und Berichterstattungen im öffentlich-rechtlichen und im privaten TV, dann entsteht der Eindruck von einem Land, in dem die größten Probleme seiner Bewohner in der Entscheidung bestehen, welche Fremdsprachen im Kindergarten gelehrt werden, welche musikalischen, künstlerischen oder sportlichen Impulse man im frühkindlichen Stadium setzen soll oder welche kulturellen Veranstaltungen man am Abend und am Wochenende besucht.

Die Lebenswirklichkeit von Millionen von Menschen sieht hierzulande allerdings ganz anders aus, denn jedes dieser hochzivilisiert wirkenden Angebote ist mit hohen Kosten verbunden, die sich wieder nur die Gruppe der Privilegierten leisten kann. Und während die Kinder der Gut- und Besserverdiener von einem Kurs zum nächsten gefahren werden und die Eltern bereits in der Grundschulzeit Pläne über die beruflichen Optionen des Nachwuchses schmieden, gelingt es den sozial Benachteiligten meist nicht einmal, ihren Kindern überhaupt den Zugang zu einer qualifizierten Schule zu verschaffen, da bereits in den Grundschulen erbarmungslos selektiert wird.

Auch der Zugang zu den kulturellen Errungenschaften, auf die wir uns so viel zugute halten, besteht nur begrenzt. Entweder sind Kino-, Theater-, Konzert- oder Museumsbesuche mit hohen Eintrittsgeldern verbunden. [..]

Zugang zu kulturellen Angeboten besteht so fast ausschließlich über das Fernsehen und, solange noch ein funktionierender PC und Geld für den Internetzugang zur Verfügung steht, über das Netz. Im TV können sich sozial Benachteiligte dann, wenn sie sich für die Privaten entscheiden, Tag für Tag anschauen, warum sie es nicht wert sind, von der Gesellschaft respektvoll behandelt und ernstgenommen zu werden. Schließlich erleben sie dort Laiendarsteller, die in ihre eigene Rolle schlüpfen und Zeugnis von Dummheit, Verkommenheit und Fettleibigkeit ablegen.

Entscheiden Sie sich stattdessen für die Öffentlich-Rechtlichen, dann müssen sie feststellen, dass sie dort überhaupt nicht vorkommen.[..]

Gerechtigkeit als Gesellschaftsprinzip
Nun höre ich die neoliberale Front bereits erwidern: „Jeder ist seines Glückes Schmied“...

Wer allerdings angesichts der hiesigen Verhältnisse tatsächlich von Chancengleichheit ausgeht, der macht es sich zu einfach. Denn erstens hängen die Möglichkeiten zum sozialen Aufstieg aus vielen Gründen maßgeblich von der eigenen Herkunft ab. Zweitens muss sich der Zivilisationsgrad einer Gesellschaft doch gerade daran messen lassen, wie sie mit denjenigen umgeht, die den hohen Leistungsanforderungen nicht entsprechen können oder wollen. Und drittens sollte die Definition dessen, für was eine Gesellschaft steht und damit auch die Festlegung, welche Leistungsansprüche gelten sollen, von der Gemeinschaft aller und nicht von den Maßstäben weniger, die zufällig an der Spitze stehen, getragen werden.

Wenn wir also feststellen, dass unser Zusammenleben nicht von Gerechtigkeit im Sinne der gleichen Verteilung von Chancen und Gütern getragen ist und wenn wir darüber hinaus wissen, dass genau hierin die Ursache für vielfältige Probleme in unserer Gesellschaft besteht, dann sollte man erwarten, dass die Herstellung von Gerechtigkeit zu den zentralen Zielen der Politik gehört.

Davon ist unsere politische Kultur allerdings weit entfernt. Union und FDP fühlen sich traditionell der Vertretung der Interessen der Privilegierten verpflichtet. [..] Vorwurf [..] an diejenigen [..], die diese Parteien immer noch wählen, obwohl sie keinen Zweifel daran erkennen lassen, für wen sie tätig sind.

Anders sieht es bei der SPD aus, die zumindest traditionell für die Interessen der sozial Benachteiligten steht. Mit der Agenda 2010 haben die Sozialdemokraten allerdings einen Paradigmenwechsel unter Beweis gestellt, von dem sich die Partei bis heute nicht verabschiedet hat. Wer, wie die SPD, die Voraussetzungen für Niedrigstlöhne und Sozialabbau im heutigen Ausmaß überhaupt erst geschaffen hat, kann nicht mehr für sich in Anspruch nehmen, im Sinne der gesellschaftlichen Gerechtigkeit zu agieren. Unterstützt wurden die Sozialdemokraten dabei von den Grünen, die sich über ihre Rolle als Mehrheitsbeschaffer hinaus, heute vor allem für die Interessen der Öko-Eliten einsetzen, die Schwachen gänzlich aus dem Blickwinkel verloren haben und keinerlei Hemmungen verspüren, es in Sachen Wirtschaftsnähe, Käuflichkeit und Lobbybezogenheit den großen Parteien gleichzutun.

Mit der Entstehung der Piratenpartei entstand zunächst die Hoffnung [..] Seit Sebastian Nerz als Bundesvorsitzender der Piraten zudem erklärte, seine Traumkonstellation sei eine Koalition mit der FDP und den Grünen, dürften sich innerhalb der Partei zumindest Diskussionen über die grundsätzliche Ausrichtung abzeichnen. (Anmerkung: die Hoffnung stirbt zuletzt)

Bleibt noch die Linkspartei, die sich zwar konsequent für die Interessen der sozial Benachteiligten einsetzt und als einzige Partei für eine konsequente Verteilung von Vermögen von oben nach unten eintritt, die aus verschiedenen Gründen für viele Menschen aber nicht wählbar scheint. Bis 2013 kann sich hieran noch einiges ändern, wenn es DIE LINKE nicht versäumt, an ihrer Außenwirkung zu arbeiten und es ihr gelingt, zumindest denjenigen, die vom fortschreitenden Sozialabbau direkt betroffen sind, klarzumachen, dass sie deren Interessen vertritt.

Über die parteipolitische Betrachtung hinaus ist es hochgradig bedenklich, wie weit sich unsere Gesellschaft mittlerweile von dem Anspruch der Gerechtigkeit entfernt hat. [..]

Im Vorfeld fast aller großen Revolutionen und Aufstände der Weltgeschichte lassen sich mutwillige Verstöße gegen das Prinzip der Gerechtigkeit feststellen. Wann immer sich eine kleine Gruppe Privilegierter über die Mehrheit anderen erhoben, Recht und Gesetz nach ihren Bedürfnissen gebogen und Macht und Einfluss zur Mehrung ihres eigenen Vermögens missbraucht hat, dann dauerte es nicht allzu lange, bis sich die unzufriedene Mehrheit über die Herrscher erhob und ihnen die Privilegien entzog.

Vor diesem Hintergrund kann es nicht verwundern, dass sich der jüngste UN-Bericht zur soziale Lage in Deutschland entsetzt von den hiesigen Verhältnissen zeigt und vor dem Verlust von politischer Stabilität und vor sozialen Unruhen warnt. [Ende Auszug]


Link zum vollständigen Artikel bei Jacob Jung Blog  ..hier

 
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