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11.11.2015 14:30
Helmut Schmidt
1970 fand in Saarbrücken mit viel Prominenz ein
SPD- Bundesparteitag
just zu einem Zeitpunkt statt, als die Saar großflächig Saarbrücken
überflutete und die Wasserstandspegel auf einen seit 1947 nicht erreichten
Höchststand anstiegen. Grund genug den Katastrophenschutzfall auszurufen und den
damaligen Bundesverteidigungsminister Helmut Schmidt, der bereits 1962 in seiner
Eigenschaft als Hamburger Polizeisenator
flutkatastrophengeprüft war,
zum obersten Chef des Krisenstabes in Saarbrücken zu benennen. JWD
Quelle:
Wikipedia (verlinkt)
Als ehrenamtlicher Katastrophenschutzhelfer hatte ich damals Helmut Schmidt leibhaftig erlebt, nachdem
er per Hubschrauber vor dem Saarbrücker Ratskeller auf dem Rathausplatz gelandet
war und das Kommando der Einsatzleitung übernommen hatte. Man spürte schon damals die Aura des
"Machers" und des gegenwartbezogenen Technokraten. Etwas, was aus meiner
Sicht und meiner Beobachtung, ihm auch bei Handlungen in seinem späteren politischen Leben
anhaftete.
Aus heutiger Sicht, sowie in Anbetracht dessen, was mir im Laufe der Jahre
bezüglich der inneren
Verfasstheit unserer Republik klarer geworden ist, neige ich dazu
anzunehmen, dass Helmut Schmidt in seiner Zeit als Bundeskanzler, den ihm
gegebenen, begrenzten Handlungsspielraum, überwiegend dazu genutzt
hatte, Gemeinwohl generieren zu wollen. Womit er sich im neoliberalen Lager
sicherlich, trotz einiger Zugeständnisse, Feinde gemacht hatte.
Auch wenn er seinen Vorgänger Willy Brandt nicht annähernd erreichen konnte,
kann auch einem Helmut Schmidt unterstellt werden, dass er eine
Gesellschaft mit mehr sozialer Gerechtigkeit anstreben wollte. Nach Schmidt ging
es nur noch steil bergab.
Den heute in den NachDenkSeiten veröffentlichten Nachruf von Albrecht Müller
halte ich für eine zutreffende Analyse des politischen Wirkens von Helmut Schmidt.
11. November 2015 um 10:41 Uhr [Quelle: nds.de]
Nachruf auf Helmut Schmidt
von Albrecht Müller
Weil wir gestern diesen Nachruf angekündigt hatten, kamen einige Mails von NDS-
Lesern. Einer meinte, der Sozialdemokrat Helmut Schmidt sei eines Nachrufs nicht
würdig. Da bin ich ganz anderer Meinung. Selbst wenn es von Helmut Schmidt als
Leistung nur die Mahnungen der letzten Zeit gegeben hätte, doch bitte nicht
wieder zur Konfrontation zwischen West und Ost zurückzukehren und damit alles
aufs Spiel zu setzen, was mit der Entspannungs- und Ostpolitik erreicht worden
ist, wäre er positiv zu würdigen. Die Idee, die gemeinsame Sicherheit zwischen
dem Westen und Russland neu zu beleben, wäre alleine schon eine Nachruf wert. Es
gab in Helmut Schmidts politischem Leben noch sehr viel mehr, was positiv zu
würdigen ist. Darüber will ich skizzenhaft aus meiner persönlichen Sicht
berichten, und dabei kritisches nicht verschweigen.
Von Mai 1974 bis zum 1. Oktober 1982 war ich Leiter der Planungsabteilung im
Bundeskanzleramt. Helmut Schmidt war ein ausgesprochen angenehmer Chef; er war
trotz erkennbarer Meinungsunterschiede tolerant und offen für kritische
Einwände. – Helmut Schmidt war, was seine politischen Einstellungen betraf, eine
ambivalente Persönlichkeit. Er hat sehr Vernünftiges, Gutes getan und
Wegweisendes gesagt. Und er vertrat Entscheidungen und Meinungen, denen man als
kritischer und vernunftbegabter Mensch nicht immer folgen konnte. Mein Eindruck:
Helmut Schmidt war oft hin- und hergezerrt – von verschiedenen Einflüssen,
Personen und Gruppen. Das geht uns übrigens allen so und ist schon deshalb kein
Grund zur radikalen Klage.
An wenigen, aus meiner Sicht relevanten Beispielen will ich die Ambivalenz und
guten Seiten sichtbar machen, auch mithilfe einiger teilweise amüsanten Details:
Nachrüstung und West-Ost-Dialog für eine gemeinsame Sicherheit
in Europa
Helmut Schmidt ist der Kanzler der Nachrüstung, so sehen ihn viele. Auch ich
verstehe bis heute nicht, was ihn bei diesem Thema „geritten hat“; zumal wir
alle an ihm einen ganz anderen Ostpolitiker erlebt haben: er hat sich massiv für
den Erfolg der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, für die
KSZE, eingesetzt. Daraus wurde dann die OSZE, was nach wie vor eine wichtige
Einrichtung wäre, wenn sie von westlicher Seite nicht desavouiert worden wäre,
massiv beim Jugoslawien Krieg.
Helmut Schmidt hat sich in einer entscheidenden Phase für die Fortsetzung des
Dialogs mit dem Osten, mit der Sowjetunion, mit Russland und anderen Staaten
Ost-Mitteleuropas eingesetzt und diese Linie durchgehalten, als andere sich von
der Entspannungspolitik davonstehlen wollten. Davon, von einem Vorgang zwischen
Dezember 1979 und dem Mai 1980 will ich im Detail berichten: Im Dezember 1979
intervenierte die damalige Sowjetunion militärisch in Afghanistan. Franz Josef
Strauß, CSU-Vorsitzender und potentieller Kanzlerkandidat für die Bundestagswahl
1980, forderte sofort ein Ende der Entspannungspolitik und des West-Ost-Dialogs.
Bundeskanzler Schmidt geriet damals auch unter Druck seines Koalitionspartners,
des Außenministers und FDP-Vorsitzenden Hans-Dietrich Genscher. Dieser führte,
so berichtete der „Stern“ im April 1980, schon Gespräche mit dem
CDU-Vorsitzenden Helmut Kohl über eine mögliche Zusammenarbeit.
Die Planungsabteilung des Bundeskanzleramtes veranlasste im März 1980 eine
Studie über die Einstellung der Deutschen zum Verhältnis zu Moskau und zur
Ostpolitik. Das Ergebnis war eindeutig. Die Mehrheit der Deutschen stand hinter
dieser politischen Linie. Das war von Bedeutung aber keineswegs alleine
ausschlaggebend für die Entscheidung Helmut Schmidts, nicht zu wackeln.
Der Konflikt innerhalb der sozialliberalen Koalition schlug sich auch in der
morgendlichen Lage des Bundeskanzleramtes nieder. Dort saßen wir jeden Morgen
zusammen, um über Geschehenes und Kommendes zu beraten. Mit dabei war Helmut
Schmidts Redenschreiber Breitenstein. Er war ein lustiger Vogel und FDP
Mitglied, und er hatte wegen seiner Funktion im Kanzleramt das Recht, an
FDP-Präsidiumssitzungen teilzunehmen.
Der Konflikt um die Fortsetzung der Entspannungspolitik eskalierte. Die SPD
setzte voll darauf und nutzte im Einvernehmen mit dem Bundeskanzler die
nordrhein-westfälische Landtagswahl vom 11. Mai 1980 zum Show-down. Im Vorfeld
dieser Wahl erschien dort zum Beispiel eine große Anzeige mit den Fotos und
Kernaussagen von 49 Kriegerwitwen. Darüber stand in dicken Lettern: „Nie wieder
Krieg“. Das war eine hoch emotionale Intervention zugunsten der
Entspannungspolitik.
Die FDP flog am 11. Mai mit 4,999 % der Stimmen aus dem Düsseldorfer Landtag. Am
Montag darauf tagte das FDP-Präsidium und am Dienstagmorgen erschien Schmidts
Redenschreiber und FDP-Mitglied Breitenstein in der morgendlichen Lage mit der
Botschaft: „Meine Herren (Damen gab’s da nicht), ich kann Ihnen mitteilen, dass
die FDP jetzt wieder für die Entspannungspolitik ist.“
Diese Geschichte habe ich nur erzählt, weil sie zeigt: Bundeskanzler Schmidt ist
Risiken eingegangen, um das Ende der Konfrontation zwischen West und Ost nicht
zu gefährden. Das muss man neben seiner Entscheidung für die Nachrüstung sehen.
Beides zusammen.
Für den Ausbau der Kernenergie und zugleich für die Auflösung
der Bindung der
Energiebedarfsprognosen an die Entwicklung
des Bruttoinlandsproduktes
Helmut Schmidt war für den Ausbau der Kernenergie und hat wegen dieses Themas
viel Streit mit seiner eigenen Partei gehabt. Und er hat diesen Streit,
befördert von seinem damaligen Pressesprecher Becker und anderen, unnötig
angeheizt. Helmut Schmidt stand sachlich betrachtet mit seinem Urteil über die
Kernenergie nicht auf der richtigen Seite. Das ist in vielfältiger Weise
bestätigt worden.
Das Urteil über Schmidts Haltung in dieser Frage kann jedoch um einiges milder
ausfallen, wenn man mit einbezieht, was in der praktischen Arbeit der
Bundesregierung gerade von Seiten des Bundeskanzleramtes möglich geworden war:
Basis der Pläne für den expansiven Ausbau der Kernenergie waren sogenannte
Energiebedarfsprognosen. Diese waren von Seiten des
Bundeswirtschaftsministeriums eng an die Prognosen des BIP angebunden. Das war
eine unsinnige Korrelation und es ist damals gelungen, in Gesprächen mit der
Wirtschaftsabteilung des Bundeskanzleramtes und dann mit dem
Bundeswirtschaftsminister die Korrelation aufzulösen, und damit die Prognosen
für den angeblichen Bedarf an Kernenergie massiv abzusenken.
Auch das war mit der Unterstützung des Bundeskanzlers Schmidt möglich.
Helmut Schmidt und die soziale Sicherheit
Der frühere Bundeskanzler sprach einmal davon, der Wohlfahrtsstaat sei eine
große Leistung Europas. Den Mut, so etwas Progressives zu sagen, würden wir uns
häufiger gewünscht haben. Es gibt ein anderes schönes Wort von Helmut Schmidt:
„Die soziale Sicherheit ist das Vermögen der kleinen Leute“. Das ist absolut
richtig, denn wer kein Vermögen hat, ist auf jeden Fall auf die soziale
Sicherung vor den Risiken des Alters, der Krankheit und der Arbeitslosigkeit
angewiesen.
Diese Einstellung hatte Bedeutung für die praktische Politik. Und dann leider
auch wieder nicht. Auch hier war Helmut Schmidt hin und her gezerrt. Ich
erinnere mich noch gut an einen denkwürdigen Sonntag im Sommer 1981, als die
Zuständigen aus den Regierungsfraktionen im Kanzleramt mit den Spitzen der
Regierung izusammengeführt wurden, um über die sogenannte Operation 82 zu
beraten. Das war ein Programm mit sozialen Einschnitten. Die IG Metall ist im
Herbst 1981 dann dagegen auf die Straße gegangen. Das signalisierte einen ersten
Bruch zwischen dem SPD-Bundeskanzler und Teilen seiner Partei und der
Gewerkschaften.
In der Unterstützung für Schröders Agenda 2010 durch Helmut Schmidt findet sich
diese Linie vom Sommer 1981 wieder. Leider.
Aktive Beschäftigungspolitik
Nach der massiven Erhöhung der Mineralölpreise im Oktober 1973 gab es einen
statistisch deutlich messbaren Einbruch der Wirtschaftsentwicklung und der
Beschäftigung in Deutschland. Die Arbeitslosigkeit stieg. Mit Helmut Schmidts
Unterstützung war es möglich, 1974 und 1975 beschäftigungspolitisch dagegen zu
steuern. Auch später, Ende der siebziger Jahre wieder mit Konjunkturprogrammen
wie dem Zukunftsinvestitionsprogramm (ZIP). Das Urteil darüber ist heute gefärbt
von dem Einzug der neoliberalen Ideologie in die deutsche Politik und Debatte
und auch vom Unwillen so genannter linker Ökonomen zu akzeptieren, was
keynesianisch geprägte Wirtschaftspolitik zu leisten vermag. Damalige
Untersuchungen, die wie die einschlägige Studie des Ifo-Instituts den Erfolg
bestätigten, sind verschwunden.
Helmut Schmidts Kampf gegen die Kommerzialisierung aller
Lebensbereiche einschließlich von Fernsehen und Hörfunk
Heute kann man aus dem Mund von Konservativen und führenden Christdemokraten und
Christsozialen lange Klagen darüber hören, was die Kommerzialisierung des
Fernsehens Schlimmes angerichtet hat. Sie haben Recht, aber sie hätten diese
Einsicht früher haben sollen – damals nämlich zwischen 1978 und 1982, als sie
Helmut Schmidt anklagten, er sei ein Investitionsverhinderer und gegen den
technischen Fortschritt.
Helmut Schmidt hatte sich damals, 1978, geweigert, den
CDU/CSU-Ministerpräsidenten die finanzielle Förderung des Bundes für die
Verkabelung mehrerer Städte und damit für die Programmvermehrung und
Kommerzialisierung des Fernsehens zuzusagen. Dabei blieb er bis zum Ende seiner
Kanzlerschaft am 1. Oktober 1982. Und er hat darüber geschrieben und geredet,
warum es wichtig sei, dass die Menschen die personale Kommunikation, also das
Miteinander, und die elektronische Kommunikation mit dem Bildschirm
ausbalancieren. Er veröffentlichte im Mai 1978 in der „Zeit“ ein „Plädoyer für
einen Fernsehfreien Tag“. Das war der publizistische Hebel zur Thematisierung
eines schwierigen Problems. – Dass der Regierungschef eines Landes sich darüber
Gedanken macht, wie es in den Familien aussieht und was die Überflutung mit
kommerziellen Fernsehprogrammen für uns und unsere Kinder bedeutet, fand und
finde ich bis heute großartig. Jedenfalls ist nie und nimmer einzusehen, dass
für diese totale Fernsehwelt öffentliches Geld ausgegeben wird, wie es dann die
Regierung Kohl und ihr Postminister Schwarz-Schilling ab 1982 taten.
Helmut Schmidts Verhältnis zu seiner Partei, seine Sicht vom
Ende
seiner Kanzlerschaft und ein gravierender
Fehler im Umgang mit der FDP
Helmut Schmidts Verhältnis zur SPD als einer Partei mit verschiedenen Flügeln
war die meiste Zeit nicht sehr produktiv. Manchmal schon. Manchmal sah er ein,
dass nur eine breit aufgestellte Partei die Chance hat, Mehrheiten zu gewinnen.
Aber in der Regel war er orientiert am eher konservativen Teil der SPD. Das war
ein gravierender Unterschied zu Willy Brandt. Dieser wusste um die Notwendigkeit
der breiten Orientierung. Er hat auch deshalb nach seinem Rücktritt im Jahr 1974
nicht geschmollt, sondern zum Beispiel beim Bundestagswahlkampf 1976 gegen den
Kanzlerkandidaten Helmut Kohl mit gekämpft. Wenn er das nicht getan hätte, wenn
die SPD damals auf die Schmidt-SPD verengt worden wäre, wäre aus meiner Sicht
die Bundeskanzlerschaft Helmut Schmidts schon im Oktober 1976 zu Ende gewesen.
Auch das Ende der Kanzlerschaft mit dem September 1982 hat mit der mangelnden
Einsicht in die notwendige Breite seiner Partei zu tun. Ich weiß sehr wohl, dass
es allgemeine Meinung ist, die Bundeskanzlerschaft Helmut Schmidt sei damals
wegen der Nachrüstung von seiner eigenen Partei geopfert worden. Das kann man ja
so sehen. Aber dieser September 1982 hatte einen Vorlauf, den man zumindest mit
bedenken sollte. Es war ein Vorlauf, der geprägt war von einer aus meiner Sicht
unnötig kritischen Haltung gegenüber dem linken Flügel der SPD und zugleich
einer abenteuerlichen Verharmlosung der Absichten der FDP-Führung und dabei
insbesondere der Rolle von Otto Graf Lambsdorff: Obwohl nach dem zuvor
geschilderten Rauswurf der FDP aus dem nordrhein-westfälischen Landtag am 11.
Mai 1980 die Koalitionswelt wieder einigermaßen in Ordnung war und obwohl klar
war, dass diese bessere Zusammenarbeit auch daraus folgte, dass die FDP
eingesehen hatte, fremdgehen lohnt sich nicht, hat Helmut Schmidt im
Bundestagswahlkampf 1980 dafür geworben, der FDP die Zweitstimme zu geben. Er
hat hinterher irgendwann gesagt, dies sei ein Fehler gewesen. Das ist eine
richtige Einschätzung. Die FDP legte von 7,9 % auf 10,6 % zu. Und sie nutzte
dieses ausgesprochen gute Ergebnis dazu, um die Sozialdemokraten zu quälen. Die
10,6 % waren eine wunderbare Grundlage für die Erarbeitung des sogenannten
Lambsdorff Papiers, des wesentlich vom CDU-Politiker Tietmeyer mit bestimmten
Scheidungspapiers von SPD und FDP, und damit für den Sprung ins Bett der
schwarz-gelben Koalition.
Unterm Strich: Es gibt in der Summe gute Gründe, freundlich, zustimmend und auch
dankbar auf das Wirken Helmut Schmidts zurück.
Link zum Originaltext von Albrecht Müller auf '
nds.de ' ..hier
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RT Deutsch] JWD
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Tags: Altbundeskanzler Helmut Schmidt, Nachruf |
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