28.06.2015 24:00 Ex-Spitzenpolitiker der Grünen zum Ukraine-Konflikt:
„Heuchelei und Doppelmoral der westlichen Politik“
In einem bemerkenswerten Interview mit dem Deutschlandfunk
hat sich der Grünen-Politiker und ehemalige Staatsminister im Auswärtigen Amt,
Ludger Volmer, zum Ukraine-Konflikt geäußert. Während einige seiner
Parteikollegen zu den aktivsten Scharfmachern zählen, offenbart Volmer eine
außerordentlich differenzierte Sicht auf die zunehmende Konfrontation zwischen
Russland und der NATO.
[Quelle:
RT Deutsch] JWD
Volmer bezeichnet die Ereignisse im Februar 2014 explizit als Putsch und
warnt darüber hinaus vor weiterer Eskalation, die auch die Frage der atomaren
Konfrontation wieder auf die Tagesordnung bringen könne.
Screenshot | Quelle: RT Deutsch
Ludger Volmer, von 1998 bis 2002 unter dem damaligen Außenminister Joschka
Fischer Staatsminister in dessen Ministerium wurde vom Deutschlandfunk für ein
Telefoninterview zum Ukraine-Konflikt geladen. Die Fragen, denen sich Volmer
dabei konfrontiert sieht, sind alles andere als frei von Suggestion. Umso
interessanter sind die Antworten des ehemaligen Spitzenpolitikers. Volmer
bekräftigt, dass es sich beim ukrainischen Regierungswechsel vor rund einem Jahr
um einen Putsch handelte und kritisiert scharf die Doppelmoral des Westens
während des andauernden, und nach Volmers Sicht sich zuspitzenden, Konflikts.
Schon bei der Begrüßung durch den Deutschlandfunk-Moderator Dirk Müller (bei dem
es sich nicht um den bekannten Finanzexperten gleichen Namens handelt) zeigt
sich, welche Richtung eingeschlagen werden soll. Weil es offenbar besser in das
Narrativ passt, das Müller anstrebt zu verbreiten, entscheidet dieser sich dazu,
wesentliche Teile des Ukraine-Konfiktes auszuklammern und verkündet überzeugt:
„Angefangen hat alles mit der Krim und mit der Krise in der Ukraine.“ Volmer ist
alles andere als optimistisch, hinsichtlich der weiteren Entwicklung und sieht
den Beginn eines neuen Kalten Krieges, der auch in einer neuen nuklearen
Konfrontation münden könnte.
Die darauf folgende Frage des Moderators lautet in suggestiver Form: „Suchen wir
nach den Schwarzen Schafen. Hat der Kreml mit allem angefangen?“. Und damit
beginnt der interessante Teil des Gesprächs. Auffällig ist: Volmer spricht,
anders als viele Scharfmacher unter denen sich auch Grüne wie Rebecca Harms und
Marieluise Beck befinden, nicht von einer „Annexion“ der Krim sondern kritisiert
lediglich deren temporäre Besetzung durch Russland. Ein Unterschied der zunächst
unbedeutend wirken mag, jedoch weitreichende Konsequenzen hat. De facto hat
Russland niemals die Krim „annektiert“, vielmehr fand auf der Halbinsel eine
Volksabstimmung statt, bei der 95,5 Prozent der abgegebenen Stimmen für die
Wiedervereinigung der Krim mit Russland mit den Rechten eines Subjekts der
Russischen Föderation votierten. Um die Durchführung des Referendums zu
gewährleisten waren russische Truppen auf der Krim anwesend. Es fiel kein
Schuss, niemand kam zu Schaden.
Dennoch versuchen westliche Meinungsmacher seit über einem Jahr diesen Vorgang
quasi als eine Art Schwerstverbrechen umzudeuten, als massiven Bruch des
Völkerrechts, gleich eines Massakers oder Genozids. Der Begriff „Annexion“ wird
dabei besonders penetrant eingesetzt, was einen einfachen Hintergrund hat: Eine
tatsächliche Annexion ist neben einem Völkermord der einzige Grund, der anderen
Staaten das Recht gibt, militärisch einzugreifen. Dies erklärte auch schon die
ehemalige ARD-Journalistin Gabriele Krone-Schmalz:
Quelle: Bananenrepublik1 via Youtube | veröffentlicht 12.03.2015
Auch weist Volmer darauf hin, dass die Krim-Krise keineswegs der Anfang „von
allem“ war, sondern, dass dieser Streitfrage natürlich ein Putsch im politischen
Zentrum der Ukraine voran ging. Der Grünen-Politiker wirft dem Westen dabei
Doppelmoral vor.
Während die Bevölkerung der Westukraine dafür gefeiert wird, dass sie Wiktor
Janukowytsch aus dem Amt gejagt hat, wird der Bevölkerung der Ostukraine
vermittelt, ihr Wunsch bei diesem Kurswechsel nicht mitmachen zu wollen, sei
illegitim.
Volmer spricht aus, was seine Partei-Kollegen und andere „NATO-Versteher“ gerne
versuchen zu ignorieren: Die Beteiligung organisierter Neonazis beim Kiewer
Putsch.
„Wir im Westen nennen das demokratische Erneuerung, weil Demokraten diesen
Putsch gemacht haben, allerdings in Verbindung mit vielen rechtsradikalen und
nationalistischen Elementen.“
Auf die erneute Nachfrage Müllers ob sich in der Ukraine tatsächlich ein Putsch
ereignet habe, bekräftigt Volmer:
„Das war eine Revolution. Die hat eine gewählte Regierung aus dem Amt gejagt.
Die gewählte Regierung war bestimmt schlecht, und es gab viele gute Gründe, sie
loswerden zu wollen. Aber wenn eine Revolution von der Straße eine Regierung
davonjagt, die vorher demokratisch gewählt worden war, was soll das sonst sein?
Der Westen redet sich das gerne schön.
Wenn dann aber ein anderer Teil des ukrainischen Volkes, nämlich die Ostukraine
nicht mitmachen will und wiederum aus dem neuen ukrainischen Staatsverband
austreten will, dann gilt das als illegitim, und das ist die Heuchelei und die
Doppelmoral der westlichen Politik.“
Auch den generellen Umgang der NATO-Staaten mit Russland kritisiert der
ehemalige Staatsminister scharf. Im Grunde liege ein klassisches
Sicherheitsdilemma vor, das eine zunehmende Eskalationsspirale in Gang setzt.
Volmer nimmt hier Bezug auf eine Konstruktion in der Spieltheorie. Mit dem
Sicherheitsdilemma, ähnlich dem Gefangenendilemma, wird ein Akteurs-Modell
bezeichnet, bei dem zwei Spieler das Schlechteste von dem jeweils annehmen und
deshalb eine sich selbst erfüllende konfliktive Prophezeiung erzeugen. Wikipedia
dazu:
„Das Sicherheitsdilemma bezeichnet eine paradoxe Situation, in der das Beharren
mehrerer Staaten auf ihren sicherheitspolitischen Interessen und ihr
dementsprechendes Handeln letztendlich zu einer verstärkten politischen
Instabilität führt. Unter Umständen mündet dieses Verhalten in Kriege, sodass
das Ergebnis der Situation der Absicht aller beteiligten Akteure, mehr
Sicherheit herzustellen, widerspricht.“
Für das Dilemma gibt es in der Spieltheorie allerdings auch veritable
Lösungsmuster, die da lauten: Kommunikation, Vermittlung, Mediation, Dialog.
Umso wichtiger ist es für die Scharfmacher und eskalierenden Kräfte des
Konflikts, Kommunikationskanäle zwischen den Konfliktparteien zu stören,
Misstrauen zu sähen und ein Klima der Isolation zu schaffen. Volmer, nach seiner
Kritik an Russland, dazu:
„Man muss allerdings auch sagen, dass starke Kräfte im Westen, insbesondere in
den USA, diese Partnerschaft nicht wollten. Im Übergang von der Clinton- zur
Bush-Regierung haben sich Kräfte durchgesetzt, die gesagt haben: Nachdem die
Sowjetunion nun einmal gestürzt ist, werden wir Russland so stark schädigen,
dass es sich nie mehr erholen kann. Und diese Kräfte sind leider heute immer
noch wirksam in den USA.“
Der Subtext von Volmers Aussagen ist eigentlich eindeutig: Russland und Europa
sollten den kommunikativen Austausch stärken, sofern sie verhindern wollen, dass
sich ein neuer Kalter Krieg manifestiert aus dem dann vielleicht auch ein heißer
wird.