21.03.2015 15:30 "Holen Sie sich unser Geld bei den Banken
und der griechischen Oberschicht zurück!"
Rede von Sahra Wagenknecht in der Debatte des Bundestages am 19.03.2015 zur
Regierungserklärung zum Europäischen Rat. [Quelle:
sahra-wagenknecht.de]
JWD
Quelle: Fraktion DIE LINKE. im Bundestag via
Youtube | veröffentlicht 19.03.2015
Redetext:
Dr. Sahra Wagenknecht (DIE LINKE):
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Bundeskanzlerin! Zu ihren
besten Zeiten hatte die deutsche Außenpolitik zwei Prioritäten. Das waren die
europäische Einigung und eine Politik der guten Nachbarschaft gegenüber
Russland. Es sollte Ihnen schon zu denken geben, Frau Merkel - wenn Sie bitte
zuhören könnten -,
(Volker Kauder (CDU/CSU): Das ist eine Frechheit!)
dass Nationalismus und Zwietracht in Europa, knapp zehn Jahre nachdem Sie das
Kanzleramt übernommen haben, wieder gedeihen wie lange nicht mehr und im
Verhältnis zu Russland die Entspannungspolitik einem neuen Kalten Krieg gewichen
ist.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Die spezifischen US-Interessen in Europa hat vor kurzem der Chef des
einflussreichen Thinktanks Stratfor in einer Pressekonferenz in eindrucksvoller
Offenheit erläutert: Hauptinteresse der Vereinigten Staaten sei es, ein Bündnis
zwischen Deutschland und Russland zu verhindern, denn - so wörtlich - „vereint
sind sie die einzige Macht, die uns", also die USA, „bedrohen kann".
Diese vermeintliche Bedrohung von US-Interessen wurde auf absehbare Zeit
erfolgreich erledigt. Das begann eben damit, dass die EU im Rahmen der Östlichen
Partnerschaft versucht hat, die betreffenden Länder aus der wirtschaftlichen und
politischen Kooperation mit Russland herauszubrechen.
(Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist aberwitzig!)
Frau Merkel, natürlich war das gegen Russland gerichtet; aber es war eben auch
nicht im Interesse der betreffenden Länder. Sie haben denen das Entweder-oder
aufgezwungen, nicht Russland.
(Beifall bei der LINKEN)
Im Ergebnis hat die Ukraine einen Großteil ihrer Industrie verloren. Heute ist
dieses Land ein bankrotter Staat, in dem Menschen hungern und frieren und die
Löhne niedriger sind als im afrikanischen Ghana.
Aber die Konfrontation mit Russland hat nicht nur die Ukraine zerstört. Sie
schadet ganz Europa. Es ist doch ein offenes Geheimnis, dass die Vereinigten
Staaten den Konflikt mit Russland auch aus wirtschaftlichen Gründen schüren.
Wenn US-Regierungen von Menschenrechten reden, dann geht es in der Regel um
Bohrrechte oder um Schürfrechte. Gerade in der Ukraine ist angesichts der großen
Schiefergasvorkommen verdammt viel zu schürfen.
(Beifall bei der LINKEN)
Wenn jetzt im Rahmen der Energieunion von neuen Pipelinerouten und einer
zunehmenden Unabhängigkeit vom russischen Gas geredet wird, dann sollten Sie den
Leuten ehrlicherweise sagen, was das bedeutet: wachsende Abhängigkeit vom
wesentlich teureren und ökologisch verheerenden US-Frackinggas. Ich halte das
nicht für eine verantwortungsvolle Perspektive.
(Beifall bei der LINKEN)
Die Liste der ehemaligen deutschen Spitzenpolitiker, die Ihre Russlandpolitik
kritisiert haben, Frau Merkel, ist lang. Da finden Sie die Namen Ihrer Vorgänger
Gerhard Schröder, Helmut Kohl, Helmut Schmidt und ebenso Hans-Dietrich Genscher.
Vielleicht hat das ja auch zu Ihrem Einlenken beigetragen. Auf jeden Fall war es
richtig, dass Sie gemeinsam mit dem französischen Präsidenten Hollande die
Initiative zu neuen Verhandlungen ergriffen haben. Minsk II hat immerhin dazu
geführt, dass in der betreffenden Region seit Wochen deutlich weniger Menschen
sterben als in den Wochen und Monaten davor und dass die Tür zu einer
friedlichen Lösung geöffnet wurde.
(Beifall bei der LINKEN)
Natürlich ist das ein wichtiges Ergebnis. Sie, Frau Bundeskanzlerin, und der
französische Präsident verdienen dafür Anerkennung.
(Tino Sorge (CDU/CSU): Dann sagen Sie das doch auch mal!)
Wem aber an Frieden und Sicherheit in Europa liegt, der muss den Weg von Minsk
II jetzt auch mit Konsequenz und Rückgrat weitergehen. Da ist es natürlich ein
Problem, dass Konsequenz und Rückgrat nicht gerade zu Ihren hervorstechenden
Eigenschaften gehören.
(Beifall bei der LINKEN - Widerspruch bei der CDU/CSU)
Laut OECD haben beide Seiten den Waffenstillstand wiederholt gebrochen. Sie,
Frau Merkel, haben gerade wieder gefordert, dass die Sanktionen gegen Russland
erst aufgehoben werden, wenn Minsk II umgesetzt ist.
(Beifall des Abg. Volker Kauder (CDU/CSU))
Natürlich ist es inakzeptabel, wenn aus den Reihen der Aufständischen immer noch
geschossen wird.
(Tino Sorge (CDU/CSU): Inakzeptabel!)
Aber wenn ukrainische Truppen oder die auf ihrer Seite kämpfenden
Nazi-Bataillone weiter schießen, dann ist das doch mindestens genauso
inakzeptabel. Dazu hört man von Ihnen kein kritisches Wort.
(Beifall bei der LINKEN)
Wieso melden Sie sich auch nicht mit Kritik zu Wort, wenn die ukrainische
Regierung trotz drohenden Staatsbankrotts in diesem Jahr viermal so viel Geld
für neue Waffen ausgeben möchte als im letzten Jahr?
(Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): So ist es!)
Das spricht nicht gerade dafür, dass der Weg des Friedens in der ukrainischen
Regierung besonders engagierte Unterstützer hat.
Ebenso können die Entsendung von Militärberatern und die Waffenlieferungen durch
die Vereinigten Staaten und Großbritannien eher als Torpedierung denn als
Unterstützung des Friedensprozesses gewertet werden. Aber wollen Sie jetzt auch
gegen die USA und Großbritannien Sanktionen verhängen? Ich glaube, es wäre
besser, einzusehen, dass diese ganze unsägliche Sanktionspolitik ein einziger
großer Fehler war, mit dem sich Europa ins eigene Knie geschossen hat. Deswegen
sollten die Sanktionen nicht verlängert werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Wir brauchen auch keine zusätzlichen Panzer. Wir brauchen auch keine 3 000 Mann
starke NATO-Interventionstruppe in Osteuropa, die niemanden schützt, sondern den
Frieden in ganz Europa nur noch mehr gefährdet.
(Beifall bei der LINKEN)
Helmut Schmidt hatte doch recht, als er schon 2007 gewarnt hat, dass für den
Frieden der Welt von Russland heute viel weniger Gefahr ausgeht als etwa von
Amerika
(Lachen der Abg. Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))
und dass die NATO nur noch ein Instrument US-amerikanischer
Hegemoniebestrebungen sei. Wenn das stimmt, dann lässt das doch nur einen
vernünftigen Schluss zu: dass Europa endlich eine eigenständige und von den USA
unabhängige Politik machen muss.
(Beifall bei der LINKEN)
Herr Juncker hat nun die These aufgestellt, wir bräuchten eine europäische
Armee, um zu zeigen, dass es uns mit der Verteidigung europäischer Werte
gegenüber Russland ernst ist. Ich glaube, dieser Vorschlag zeigt vor allem eins:
wie weit sich Europa von dem entfernt hat, was einst die Gründerväter der
europäischen Einigung wollten.
(Beifall bei der LINKEN)
Damals ging es - Frau Merkel, Sie haben es eben selber angesprochen - um
Frieden, um Demokratie und um Solidarität.
(Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Und den bösen Kapitalismus!)
Nie wieder sollten Nationalismus und Völkerhass die europäischen Länder
entzweien. Aber um solche Werte zu verteidigen, dafür brauchen Sie wahrlich
keine bewaffneten Bataillone.
Wenn Sie die Demokratie verteidigen wollen, Frau Merkel, dann setzen Sie sich
doch dafür ein, dass die europäischen Länder endlich wieder von ihren gewählten
Regierungen und nicht von Finanzmärkten, nicht von dem ehemaligen
Investmentbanker Mario Draghi und, bitte schön, auch nicht von Ihnen, Frau
Merkel, regiert werden.
(Beifall bei der LINKEN - Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Distanzieren Sie sich
einmal von der Gewalt gestern! Das wäre ein wichtiger Schritt!)
Wenn Sie Demokratie wollen, dann stoppen Sie die sogenannten
Freihandelsabkommen, dann stoppen Sie TTIP, in dessen Folge demokratische Wahlen
endgültig zur bloßen Farce verkommen.
(Beifall bei der LINKEN)
Das wäre eine Verteidigung europäischer Werte! Das wäre eine Verteidigung von
Demokratie, diese unsäglichen Verhandlungen über TTIP und ähnliche Abkommen
endlich auszusetzen!
(Beifall bei der LINKEN)
Wenn Sie ein einiges Europa wollen, dann hören Sie auf, andere Länder zu
demütigen und ihnen Programme zu diktieren, die ihrer jungen Generation jede
Perspektive nehmen.
(Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie haben doch zugestimmt bei
Griechenland!)
Hören Sie auf, Europa sogenannte Strukturreformen vorzuschreiben, die nur auf
wachsende Ungleichheit und einen immer größeren Niedriglohnsektor hinauslaufen!
(Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Wer koaliert denn mit den Rechten in
Griechenland? Das ist doch Ihre Schwesterpartei!)
In Deutschland sind infolge dieser Politik mittlerweile 3 Millionen Menschen
trotz Arbeit so arm, dass sie nicht ordentlich heizen, sich nicht anständig
ernähren und schon gar nicht in den Urlaub fahren können. Statt diese Politik
zum Exportschlager zu erklären, wäre es an der Zeit - und übrigens sehr im
europäischen Interesse -, sie endlich hier in Deutschland zu korrigieren; denn
es ist nicht zuletzt das deutsche Lohndumping, das anderen Ländern der
Währungsunion die Luft zum Atmen nimmt.
(Beifall bei der LINKEN)
Finanzminister Schäuble hat kürzlich versucht, die griechische Regierung mit der
Bemerkung vorzuführen: Tja, regieren sei halt immer ein Rendezvous mit der
Realität.
(Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Richtig! - Max Straubinger (CDU/CSU): So ist
es!)
Da kann man nur sagen: Schön wär's! Schön wäre es, wenn die deutsche Regierung
ihr Rendezvous mit der Realität endlich auch einmal erleben würde.
(Beifall bei der LINKEN - Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Das schreiben Sie
sich auch einmal auf, bevor Sie eine Rede halten!)
Denn Realität ist jedenfalls, dass es nicht die Syriza, sondern die griechischen
Schwesterparteien von CDU/CSU und SPD waren, die über Jahrzehnte einen riesigen
Schuldenberg aufgetürmt haben, um sich und der Oberschicht die Taschen
vollzustopfen.
(Beifall bei der LINKEN)
Realität ist auch, dass Griechenland bereits 2010 hoffnungslos überschuldet war
und dass es eine verantwortungslose Veruntreuung von deutschem Steuergeld war,
mit diesem Geld die Schulden der Griechen bei den Banken zu bezahlen. Wir haben
deswegen damals nicht zugestimmt. Wir haben damals schon einen Schuldenschnitt
gefordert.
(Beifall bei der LINKEN)
Wer einem Überschuldeten Kredit gibt, der wird sein Geld mutmaßlich nie
wiedersehen. Aber die Verantwortung dafür liegt bei Ihnen, Frau Merkel und Herr
Schäuble, und nicht bei der neuen griechischen Regierung, die noch nicht einmal
zwei Monate im Amt ist.
(Beifall bei der LINKEN - Widerspruch bei der CDU/CSU)
Realität ist auch, dass unter dem Protektorat der von Ihnen immer noch
hochgeschätzten Troika, über deren kriminelle Machenschaften man sich in dem
hervorragenden Dokumentarfilm von Harald Schumann informieren kann, die
griechischen Schulden noch weiter gewachsen und die griechischen Milliardäre
noch reicher geworden sind.
(Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): So ist es!)
Und das wollen Sie fortsetzen? Da kann ich nur sagen: Gute Nacht!
Wenn Sie unser Geld zurückholen wollen, dann holen Sie es bei denen, die es
bekommen haben,
(Beifall bei der LINKEN)
und das waren nicht griechische Rentner und griechische Krankenschwestern,
sondern die internationalen Banken und die griechische Oberschicht. An dieser
Stelle können Sie der griechischen Regierung helfen, das Geld wieder
einzutreiben.
(Beifall bei der LINKEN - Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Sagen Sie das doch
einmal Herrn Tsipras! Wer regiert denn in Griechenland?)
Zu der ganzen Debatte um mögliche Reparationszahlungen möchte ich nur sagen:
(Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Die ist zu Ende!)
Egal, wie man diese Forderungen juristisch bewertet, das Mindeste, was man von
Vertretern des deutschen Staates erwarten kann, ist ein Mindestmaß an
Sensibilität im Umgang mit diesem Thema.
(Beifall bei der LINKEN - Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)
- Ich muss sagen, dass Sie jetzt auch noch lachen, ist wirklich traurig.
(Dr. Diether Dehm (DIE LINKE): Unsensibel!)
Angesichts dessen, wie die deutschen Besatzer in Griechenland gewütet haben, und
der Tatsache, dass eine Million Griechinnen und Griechen in diesem finsteren
Kapitel deutscher Geschichte ihr Leben verloren haben, finde ich die
schnoddrigen Äußerungen von Ihnen, Herr Schäuble, und von Ihnen, Herr Kauder,
einfach nur respektlos, und ich schäme mich dafür.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) -
Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)
Um daran zu erinnern, dass Umgang mit Geschichte auch anders geht, möchte ich
zum Schluss aus der Rede Richard von Weizsäckers aus Anlass des 40. Jahrestages
der Befreiung zitieren; ich komme gleich zum Schluss, Herr Präsident. Sie bezog
sich damals vor allem auf Russland und Osteuropa, aber sie gilt natürlich auch
für Griechenland:
(Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Was Sie alles wissen!)
"Wenn wir daran denken, was unsere östlichen Nachbarn im Kriege erleiden
mussten, werden wir besser verstehen, dass der Ausgleich, die Entspannung und
die friedliche Nachbarschaft mit diesen Ländern zentrale Aufgaben der deutschen
Außenpolitik bleiben. Es gilt, dass beide Seiten sich erinnern und beide Seiten
einander achten."
Ja, nur wenn wir uns erinnern und nur wenn wir einander achten, nur dann finden
wir zu einer Politik der guten Nachbarschaft zurück, sowohl innerhalb der EU als
auch gegenüber Russland.
21.03.2015 [Quelle: Sputniknews] Linke-Politikerin Wagenknecht für Sanktionen gegen USA und
Großbritannien
Sahra Wagenknecht, Linke-Vizefraktionschefin im Bundestag, hat sich für
Sanktionen gegen die USA und Großbritannien ausgesprochen und Bundeskanzlerin
Angela Merkel für die Absicht kritisiert, Wirtschaftssanktionen gegen Russland
zu verlängern.
Merkel folge im Schlepptau der Vereinigten Staaten und dränge die EU zu einer
langen Konfrontation mit Russland, das könne einen neuen Kalten Krieg auslösen,
sagte die 45-jährige Politikerin in einer Regierungssitzung in Berlin. Das
Hauptziel der USA sei ein Bruch der Beziehungen zwischen Deutschland und
Russland, während deren Bündnis die einzige Kraft wäre, die Washington in seinem
Bestreben nach Alleinherrschaft eindämmen würde.
Wagenknecht zufolge wirkt sich die von den USA in Europa betriebene Politik
verderblich auf die Ukraine aus. Die Krise in den Beziehungen zu Russland sei
für ganz Europa eine Gefahr. Infolge dieser Politik habe die Ukraine bereits
einen Großteil ihrer Industrie verloren. Das Land sei im Grunde ein Bankrott,
Menschen dort müssten frieren und hungern, der durchschnittliche Arbeitslohn sei
geringer als im afrikanischen Ghana. [...]